Liebe auf den ersten Blick? Der Honda sieht so retro und sympathisch aus, dass er glatt der Zeit des Art déco entsprungen sein könnte. Doch wie smart ist der Japaner und warum hat er das Zeug dazu, dass man ihn bald lieber als das eigene Wohnzimmer nutzen möchte? Wir haben das 41.200 € teure E-Auto in der Innenstadt, überland und auf der Autobahn für euch getestet und verraten euch, was er kann.
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Das Lastenheft für die Konstrukteure des Honda e? Ausstrahlung, Ausstrahlung und noch mehr Ausstrahlung! Der Honda e ist wohl der Sympathie-Träger unter allen Elektroautos. Obwohl er erst seit Anfang 2020 auf dem Markt ist, avanciert der Honda jetzt schon zum Kultauto unter den Stromern und kann sich nahtlos zwischen VW Käfer und Porsche 911 einreihen. Die runden Kulleraugen-Lichter vorn und hinten machen ihn sympathisch, und mit den 17-Zoll-Alufelgen und dem zentralen Ladeport auf der Haube sieht er auch noch sportlich aus. Dieses E-Auto geht nicht den Weg, mit Hard-Facts zu überzeugen, sondern mit Emotionen – und das gelingt ihm auf den ersten Blick.
Honda e im Detail – die fahrende Kino-Leinwand?
Tritt man an den Honda e heran, ist er sehr übersichtlich: knappe 4 m lang, 1,75 m breit und 1,50 m hoch – ideale Maße für die Stadt und bei der Parkplatzsuche – nicht aber, wenn man hinten sitzen muss. Im Fond wird es ab 1,80 m Körpergröße eng, und der Kofferraum mit 171 l Volumen hat dem Redaktionshund Leo nicht besonders zugesagt. Die Rücksitzbank lässt sich nur am Stück umklappen und vergrößert den Laderaum auf 861 l. Das Plus an den kompakten Maßen: Mit gerade einmal 9,2 m großem Wendekreis ist der U-Turn auf einer zweispurigen Straße kein Problem! Und bei der Einfahrt zur Ladesäule profitiert man vom mittig auf der Haube positionierten Ladeport – das bewahrt vor lästigem Rangieren und zu kurzen Kabeln. V8-Lufthutze neu interpretiert!
Trotz kompakter Abmessungen von außen wirkt er im Innenraum dennoch groß und engt nicht ein – große Glasflächen und das Panoramadach sorgen für ein luftiges Gefühl. Dazu kommen die Flächen aus Holzimitat und der grob gewebte Stoff auf den Sitzen und an den Türverkleidungen. Zusammen mit den eingelassenen Deckenstrahlern hinter dem Glasdach, den Ziernähten, farblich abgestimmten Gurten und den 3 großen Screens entsteht eine Lounge-Atmosphäre im Honda e, die zum Verweilen einlädt. Und das macht der Honda e schon mit den Anschlüssen unterm Armaturenbrett deutlich: Neben 12-V-Dose und USB-Buchse finden dort auch ein HDMI-Port und eine 230-V-Haushaltssteckdose Platz. Also warum nicht die Playstation mit ins Auto nehmen oder wie wir die Apple TV-Box? So könnt ihr während des Ladevorgangs daddeln oder eine Serie gucken. Während der Fahrt lässt der Honda die Streaming-Funktion aus Sicherheitsgründen ohnehin nicht zu.
Trotz der insgesamt fünf großen Displays vor dem Fahrer ist der Honda noch intuitiv zu bedienen. Auf der Mittelkonsole sitzen – eingebettet in hochwertiges Holzimitat – vier Druckknöpfe: P, R, N & D. Darunter können noch der Modus fürs One-Pedal-Drive aktiviert sowie die Fahrmodi geändert werden. Darüber finden sich Klima-Einstellungen sowie Lautstärke und Home-Button ebenfalls als physische Tasten. Das ist einfach zu verstehen, und das Feedback der Knöpfe ist natürlicher als die – von anderen Herstellern gern verwendeten – Touch-Bedienfelder.
Der Innenraum des Honda e – Screens, Screens, Screens!
Ganze 5 Bildschirme schmücken das Armaturenbrett des Honda e: 3 x Infotainment, 2 x Außenspiegel und 1 x Innenrückspiegel. Das geht, weil die Außenhaut des Honda e von Kameras gespickt ist. Zwei Finnen links und rechts beherbergen nicht nur die Seitenblinker, sondern auch 2 Kameras. Eine als Seitenspiegel-Ersatz und eine nach unten gerichtete für die 3D-Ansicht beim Parken. Dazu kommt noch eine Kamera jeweils zentral vorn und hinten. Die hintere übernimmt gleichzeitig die Aufgabe des Innenrückspiegels, wenn ihr wollt. Mit dem Abblendhebel lässt sich hier zwischen analogem Spiegel und digitalem Screen umschalten – so könnt ihr den Kofferraum bis unters Dach voll machen und seht immer noch den rückwärtigen Verkehr. Top! Der mittlere Rückspiegel lässt sich wie gewohnt in seiner Ausrichtung verändern, bei den Außenspiegeln ist das nicht notwendig. Zusätzlich sollen sie durch die weitwinkligen Kameras den toten Winkel gänzlich eliminieren. Bei Nacht und schlechten Lichtverhältnissen wird das Bild allerdings sehr körnig.
Die drei Infotainment-Screens vor Fahrer, Beifahrer und in der Mitte sind gut aufgeteilt. Während der digitale Tacho relativ fix in seiner Anmutung ist, können die Darstellungen auf den beiden anderen Monitoren einfach getauscht werden. Das stellt dem Beifahrer die gleiche Informationsfülle und Bedienbarkeit bereit wie dem Fahrer – gelebte Digitalisierung im Kleinwagensegment. Die Kacheln zur Menüführung sind groß und auch während der Fahrt leicht zu treffen. Neben der bereits erwähnten HDMI-Streaming-Funktion kann man sich im Stand auch ein Aquarium anzeigen lassen. Das ist zwar mehr Gag als Nutzen, aber unterstreicht den Wohlfühlcharakter, den das Fahrzeug bieten soll.
Honda e – UNcustomize it!
Vom Honda e gibt es genau zwei Ausstattungsvarianten, bei denen sich lediglich die Felgen unterscheiden: In der Basis ab 39.900 € gibt’s 16 Zöller und für 600 € Aufpreis die zweifarbigen 17“-Felgen wie bei unserem Testwagen. Aufpreispflichtige Artikel wie Zierleisten, beleuchtete Schriftzüge und Kindersitze gibt es zwar massenhaft – aber schnell wird klar: Die wirklich wichtigen Dinge sind immer gleich. Angefangen bei Akku und Motor über Sitz- und Lenkradheizung, kamerabasierten Außenspiegeln, automatischem Parkassistent, LED-Scheinwerfern bis hin zu einer Vielzahl an Sicherheitssystemen ist alles Serienausstattung. Vollausstattung ab Grundpreis – das gibt es nicht mehr bei vielen Herstellern.
Honda e – Vorsprung durch Style
Laut Moore ist es Gesetz, dass sich die Rechenleistung rund alle 18 Monate verdoppelt. Seit Markteintritt des Honda e im März 2020 hat sich die Rechenleistung nominal also schon wieder mehr als verdoppelt, und das merkt man dem kleinen Sympathieträger auch an. Beim Entertainment hat der Honda e zum Teil lange Reaktionszeiten, und auch die Points of Interest im Navi werden nicht zuverlässig gefunden. Das nervt bei der Spracheingabe: Also lieber die Adresse einsprechen, das versteht der Honda sehr zuverlässig. Aber nicht nur das Infotainment-Layout wirkt mittlerweile etwas überholt, auch die Fahrerassistenzsysteme sind nicht mehr State of the Art. Der Abstandsregeltempomat hat zum Beispiel Probleme, vorausfahrende Fahrzeuge auch durch weite Kurven hinweg zu erkennen – hier ist unter Umständen schon auf dem Autobahnzubringer Schluss. Dann kommt es zu sporadischem Abbremsen und erneutem Beschleunigen. Auch der Spurhalteassistent steigt recht spät ins Spiel ein und beginnt erst ab Geschwindigkeiten jenseits der 60 km/h zu arbeiten – wenn Fahrbahnmarkierungen weiß und eindeutig sind. In Baustellen sollte man lieber selbst ans Steuer greifen. Inwiefern solche Mankos durch ein umfangreiches Software-Update aufgeholt werden können oder ob hier schon die Hardware an ihre Grenzen stößt, können wir nicht beurteilen. Fest steht jedoch, dass sich der Honda innerstädtisch am wohlsten fühlt. Hier zieht der Kult-Anwärter mit seinen Kulleraugen Blicke auf sich, wie der Hochzeits-Käfer mit Dosen-Geklimper am Heck oder die goldene Stretchlimo… nur eben ohne Krach und Abgase.
Der Honda e im Test – Heckantrieb für ein Halleluja?!
Los geht’s an der Ladesäule mit maximal 56 kW Ladeleistung unter optimalen Bedingungen. Realistisch steigt die Ladeleistung auch bei guten Bedingungen im Sommer kaum über 50 kW und macht euch zu guten Freunden des örtlichen Energieversorgers. Weil man ein oft gesehener Gast an den örtlichen Ladesäulen ist, ohne das Netz mit extremen Ladeströmen zu belasten. Das Nachladen von 20–80 % dauert im Schnitt 35 Minuten. Die Reichweite mit vollem Akku beträgt laut Anzeige 200 km. Die Realität liegt aber je nach Fahrstil und Klima eher bei 160 km. Lädt man den Honda im Dunkeln, tut man sich schwer, den Knopf zum Entriegeln des Steckers zu finden. Dabei hilft auch der illuminierte Streifen am oberen Ende der Ladeklappe nicht. Aber er verrät euch zumindest schon von Weitem, ob der 35 kWh-Akku bereits voll ist oder noch Elektronen fließen.
Fährt man den Honda e im normalen Fahrmodus, fühlt er sich ausreichend motorisiert, aber eher zahm an. Genau das Richtige, um in der von Verbrennern geprägten Rush Hour mitzuschwimmen. Sind die Straßen frei und es soll zügig vorangehen, empfehlen wir den Sportmodus. Hier ändert sich das Ansprechverhalten des Motors beim Pedaldruck radikal und der Honda fühlt sich quirlig und verspielt an. Wer gern früh aus Kurven heraus beschleunigt, muss vorsichtig ans Gas gehen, sonst neigt der Kleinwagen mit Heckantrieb zum Ausbrechen und Übersteuern. Schnelle Kurvenkombinationen machen Spaß, und der Honda gibt sich sehr fahrstabil. Nicht ganz so satt wie der Polestar 2, aber auch nicht so eine Schaukelkiste wie der KIA EV6.
Plant man längere Routen, ist einem das Navigationssystem des Honda e nicht gerade eine Hilfe: Ladesäulen werden nur in der Umgebung angezeigt, statt effizient entlang der Route mit eingeplant. Das zeigt einmal mehr, dass der Honda nicht für Langstrecken gemacht ist.
In Anbetracht des hohen Preises von über 40.000 € ist der Honda ein unvernünftiges Auto im Kultmantel. Er hat aber das Potenzial, dem kultigen Mini den Rang abzulaufen oder als Drittwagen im Kofferraum des Luxus-Campers zu glänzen. Außerdem bietet er sich mit dem Fahrverhalten und dem geringen Wendekreis als City-Flitzer im Großstadtdschungel an. Hier geht auch die begrenzte Reichweite klar, und die überholten Assistenzsysteme kommen kaum zum Einsatz.
Unser Fazit zum Honda e
Honda hat mit dem e ein Elektroauto entwickelt, das durch sein kultiges Design sofort gute Laune verbreitet und mit dem agilen Handling für jede Menge Fahrspaß sorgt. Das breite Grinsen wird von den Assistenzsystemen, dem lahmen Rechner und dem hohen Preis getrübt. Dennoch zeigt das Auto, dass man auch im Kleinwagen-Segment keinesfalls auf sinnvolle Features wie die Kameraspiegel verzichten muss. Ein Auto für Ästheten, Architekten und Arzttöchter die Wert auf Sportlichkeit und einen eigenständigen Look legen.
Tops
- cooles und sympathisches Design
- agiles Handling
- mittiger Ladeport auf der Motorhaube
- Lounge-Feeling
Flops
- lange Reaktionszeiten des Entertainment-Systems
- teuer
- unzuverlässige und unpräzise Assistenzsysteme
- Navi plant keine sinnvollen Ladestopps ein
Alle getesteten E-Autos: City Transformer Prototyp | Fiat 500e | Honda e | KIA EV6 | Opel Rocks E | Polestar 2 | Porsche Taycan | Smart EQ Forfour | Tesla Model 3 Dual Motor Long Range | VW ID.3 | VW ID.BUZZ
Words: Julian Schwede Photos: Mike Hunger