Moustache setzt Zeichen. So distinktiv man mit Oberlippenbart unterwegs ist, so unbeirrt geht der französische Hersteller bei den E-Bikes eigene Wege. Beim neuen J setzt Moustache auf einen Rahmen aus nur zwei Teilen, die in Frankreich gegossen statt in Fernost geschweißt werden, eine kurze Lieferkette und hohen Komfort. Sind das die richtigen Zutaten für ein perfektes Ratatouille a la velo?

Moustache J. all | Bosch Performance Line /625 Wh | 120/115 mm (v/h) | 32,3 kg in Größe L | 6.199 € | Hersteller-Website

Die Vision von Moustache war ein offenes Tiefeinsteiger-E-Bike, mit klaren Linien und Vollfederung. Zusätzlich sollte es regional hergestellt werden, um die Wege möglichst kurz zu halten. Mit dieser Prämisse im Hinterkopf hat Moustache das Alu-Guss-Verfahren in Frankreich wieder salonfähig gemacht und lässt den kompletten Hauptrahmen aus flüssigem Aluminium, das in einer Form erstarrt, entstehen. Der Hinterbau ist ebenfalls ein Guss-Teil, das gleichzeitig noch den Motor beherbergt und für 120 mm Federweg sorgt. Das Bike gibt es in drei Varianten als On, All und Off… – setzt man noch den Zusatz -road dahinter, wird deutlich, für welchen Einsatzbereich die Modelle jeweils gedacht sind. Unser Test-Bike in der All-Variante kommt mit Gepäckträger, Schutzblechen und grobstolligen Reifen und soll damit alle drei Einsatzszenarien miteinander verschmelzen lassen wie das Aluminium in der Form. Damit bringt das Bike üppige 32,3 kg auf die Waage und wechselt in unserer Ausstattung für 6.199 € den Besitzer.

Was macht das Moustache SUV E-Bike so besonders?

Der Rubiks Cube ist jedem ein Begriff? Das Moustache J ist das Gegenteil davon. Der Rahmen des Bikes besteht nur aus zwei Teilen und ist so simplifiziert, wie es nur geht. Der J-förmige Hauptrahmen wird in Frankreich aus Aluminium gegossen und ist durch die Wabenstruktur im Inneren sehr verwindungssteif. Ebenso aus Guss ist der Hinterbau, der eine einzige Schwinge darstellt und in ungewohnter Weise den Motor aufnimmt. Das hat zur Folge, dass der Bosch Performance Line-Motor ebenso Teil der ungefederten Masse ist wie eure Kurbeln und Pedale – ob sich das auf’s Fahrverhalten auswirkt, erfahrt ihr später. Deutliche Vorteile bringt es jedenfalls für den Antrieb: Der Riemen ist gänzlich von der Kinematik entkoppelt und der Rahmen braucht kein Trennschloss, um den Riemen einzufädeln. Durch die starre Verbindung wird selbst ein Riemenspanner obsolet – zum Spannen ist einfach die hintere Achsaufnahme in der horizontalen Ebene verschiebbar. Die Variante mit Nabenschaltung und Antriebsriemen kostet bei Moustache übrigens 800 € Aufpreis gegenüber der herkömmlichen Kettenschaltung.

Für Moustache und die Fahrrad-Branche ist das Gussverfahren eine seltene Technik zur Bike-Herstellung. Das Verfahren erfordert kein Zusammenfügen von mehreren Rohren durch Schweißen und birgt somit in der Regel auch weniger potenzielle Schwachstellen. Anschraubpunkte für den 250 Wh Bosch Range Extender wurden an der Sitzstrebe gleich mit eingegossen. Gleichzeitig ist vorn auf dem Akku-Cover noch ein Platz für eine Trinkflasche reserviert. Die Gießerei befindet sich in Marseille von wo aus die Rahmen weiter für die Endmontage der Bikes im Moustache-Firmensitz in den französischen Vogesen gehen. Das ermöglicht für das J kurze Wege in der Fertigung und eine nachhaltige Herangehensweise.

Stufenlos – Die Nabenschaltung reicht in Verbindung mit dem 75 Nm Bosch Motor nur begrenzt für steiles Terrain.
Sauber wie der Louvre Vorplatz – Die Kabel-Integration am Moustache J ist sehr schön integriert.
Origins – Der Name Moustache kommt ursprünglich vom Schnurrbart-förmigen Lenker.
Im Set – Motor, Ladeport und Kettenschutz sind alle im einteiligen gegossenen Hinterbau integriert.

Was kann das Moustache?

Schwingt man zum ersten Mal das Bein über das Moustache J, fällt auf, dass man den Fuß deutlich höher bringen muss als bei manch anderen Tiefeinsteigern. Das liegt an der Motorposition unterhalb des Hauptrahmens mitsamt der Federung. Hat man auf dem E-SUV-Tiefeinsteiger Platz genommen, fühlt sich die Sitzposition sehr komfortabel und entspannt an, es lastet mehr Druck auf dem Po als auf den Händen. Der Lenker kommt einem mit der typischen Moustache-Form ein wenig entgegen und sorgt so, trotz langem Radstand, für ein kompaktes Gefühl. Man thront auf dem J sehr herrschaftlich und genießt im trubeligen Stadtverkehr eine gute Rundumsicht. Das verleiht Sicherheit. Ebenso ist der Komfort im Sitzen top und der Bosch Performance Line-Motor mit 75 Nm schiebt durchzugsstark, aber nicht so brachial an wie der große Bruder Bosch Performance Line CX.

Powermouse – Der Bosch Performance Line-Motor arbeitet zuverlässig, allerdings mit 75 Nm nicht ganz so kraftvoll wie das CX-Pendant. Für die Stadt reicht das gut, im steilen Gelände geht dem Motor in Verbindung mit der Nabenschaltung dann langsam die Puste aus.
Konsequent: Der Kabelschlund ist nicht nur am Vorbau clean, …
… die Ordnung führt sich sogar im Inneren des Rahmens fort. Ebenfalls gut zu sehen: Das Wabenmuster im Inneren zur Versteifung.

Beim Handling zeigt sich das J gutmütig und lässt sich entspannt über den Lenkeinschlag steuern, Schräglagen-Eskapaden sind nicht notwendig, um das Moustache durch den engen Stadtverkehr oder den schmalen Trail zu zirkeln. Obwohl der Lenker angenehm geformt ist, lässt der Bedienkomfort am vollgepackten Cockpit etwas zu wünschen übrig. Die Drehgriff-Gangschaltung der Enviolo-Nabenschaltung ist schwergängig, die Bremshebel haben ein schwammiges Gefühl und wenig Druck – hier sind hohe Bedienkräfte erforderlich – und die Klingel ist nur schwer zu erreichen. Einziger Lichtblick: Die Leitungsintegration vom Cockpit in den Rahmen verläuft sehr aufgeräumt direkt durchs Steuerrohr und hinter dem Frontlicht. Das erspart nervige Schatten im Lichtkegel und garantiert die volle Ausleuchtung der Fahrbahn mit dem Moustache.

Praktisch – Der Flaschenhalter ist hoch genug, dass man trotz Trinkflasche noch komfortabel aufsteigen kann.

Die Zugverlegung sorgt dafür, dass hier nichts klappert, aber auch sonst ist das Moustache für seine Vollausstattung erstaunlich leise – erst auf rauen Pflasterstein-Etappen, wie die der berühmten Paris-Roubaix, klappert der Ständer, der den Takt für die französische Nationalhymne La Marseillaise vorgibt. Will man den steilen Berg vom Eiffelturm nach Montmartre hochkurbeln, begrenzt einen die Enviolo Trekking Schaltung mit 380 % Bandbreite gehörig. In Verbindung mit dem großen Kettenblatt vorn und dem nicht so kraftvollen Motor wird man an steilen Bergen zusehends langsamer, bis der Motor schließlich unter zu geringer Trittfrequenz einbricht und nichts mehr geht. In diesem Fall lässt einen wenigstens die Schiebehilfe nicht im Stich und schiebt kraftvoll das Moustache über die Kuppe – so ganz dem „All“ im Namen wird das dennoch nicht gerecht, denn vor allem abseits von befestigten Straßen kann es schnell sehr steil werden, hierfür würden wir die 800 € günstigere Kettenschaltung empfehlen.

Moustache J. all

6.199 €

Ausstattung

Motor Bosch Performance Line 75 Nm
Akku Bosch PowerTube 625 Wh
Display KIOX 500
Fork SR Suntour XCR 34 120 mm
Dämpfer Moustache Magic Grip 115 mm
Sattelstütze EXAFORM 150 mm
Bremsen Hydraulische 2-Kolbenbremse 180 mm
Schaltung Enviolo TR stufenlos 380 %
Vorbau winkelverstellbar 120 mm
Lenker Moustache 700 mm
Laufradsatz Just 27,5"
Reifen Schwalbe Johnny Watts 2,6"

Technische Daten

Größe S M L
Gewicht 32,3 kg
Zul. Gesamtgewicht (zGG) 135 kg
Max. Zuladung (Fahrer) 102 kg
Anhänger-Freigabe nein
Ständeraufnahme ja

Besonderheiten

Trelock-Lichtanlage
Riemenantrieb
Online-Konfigurator
Range-Extender kompatibel

Apropos abseits von befestigten Wegen: Will man mit dem Moustache mal eine Abkürzung zum Barber nehmen und sucht schmale Wanderwege auf, auf denen man sich im Stehen sicherer fühlt, ändert sich das Fahrverhalten des Moustache drastisch. Durch die ausgefallene Hinterbau-Konstruktion arbeitet das Heck vor allem unter Last vom Sattel frei. Steht man nun auf, belastet man durch die Position der Kurbel und des Motors vor allem die ungefederte Masse des Hinterbaus, was das Fahrverhalten spürbar ändert. Das Heck fühlt sich bei stehender Fahrt eher hart an und lässt keine schnelle Fahrweise auf ruppigen Wegen zu.
Hat man eher die Figur von Obelix, Gérard Depardieu oder die Satteltaschen voller Baguette, Camembert und Champagner, sollte man bei schnellen Fahrten den Lenker gut festhalten und keine freihändigen Manöver versuchen, da die Front des Bikes sonst unkontrolliert zu flattern beginnt. Will man langsamer werden, ist bei den Bremsen viel Betätigungskraft notwendig, sonst hält sich die Verzögerung in Grenzen.

Wer lange Touren plant, ist mit dem Moustache dennoch gut beraten. Das Bike bietet einen super Langstreckenkomfort und der 600 km langen Mont Blanc Umrundung, wie sie die beiden Moustache-Gründer Manu und Greg gemacht haben, steht grundsätzlich nichts im Weg – wenn ihr zum 625 Wh großen internen Akku noch den Bosch PowerMore Range-Extender mit zusätzlichen 250 Wh am Sitzrohr anschraubt 😉 Dabei solltet ihr zu extreme Offroad-Etappen meiden und ihr werdet mit einem schnurrbartigen Lächeln ankommen.

Für wen ist das Moustache J?

Das Moustache J besticht in erster Linie durch die innovative Fertigungsmethode im Alu-Gussverfahren und den nachhaltigen Ansatz durch die lokale Produktion in Frankreich. Das spricht umweltbewusste E-Bike Piloten an. Wenn die Heimatregion nicht mit den steilsten Hügeln und super holprigen Pfaden aufwartet, ist das J auch in puncto Fahrwerk und Komfort bestens gewappnet. Für alle, die sich ins Moustache J verliebt haben, aber ein noch breiteres Terrain in Angriff nehmen wollen, wäre das Moustache J All mit Kettenschaltung unser Tipp.

Das Fazit zum Moustache J All

Das Moustache J hebt sich von der Masse ab. Optik und Fertigungsmethode sind besonders speziell und bedingen einander zum Teil. Leider begrenzt die Ausstattung das Bike im anspruchsvolleren Terrain und die Bremsen kommen an ihre Grenzen. Alle, deren Topografie dem entgegensteht, sollten sich ein Modell mit Kettenschaltung genauer ansehen oder sich im umfangreichen Konfigurator von Moustache austoben.

Tops

  • E-Bike „aus regionalem Anbau“
  • modernes Design mit hohem Wiedererkennungswert
  • sehr gute Sitzergonomie und Langstreckenkomfort
  • faires Preis-Leistungs Verhältnis

Flops

  • geringe Bandbreite der Nabenschaltung
  • hohe Bedienkräfte an der Bremse erforderlich
  • Hinterbau spricht im Stehen schlecht an

Words & Photos: Julian Schwede