Was bringt die Zukunft? Wie verändert KI Kunst und Kultur? Welche KI-Tools dürfen Künstler benutzen und welche nicht? Wir haben mit der Leadsängerin und Musikproduzentin Rosi von Circuit Minds – einer Band, die gar nicht existiert – über Zukunftsmusik diskutiert. Unvermeidbarer Weise auch darüber, wie wir Kunst und Realität definieren, wenn Algorithmen sie gestalten. Wo endet der kreative Schaffensprozess und wo beginnt die Lüge?

Ist digital weniger real als analog? Nicht nur unser Alltag, auch Kunst und Kultur werden durch die Künstliche Intelligenz neu definiert. Die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, Kunst und künstlich waren dabei nie schwieriger zu erkennen. Ist KI-generierte Kunst jedoch weniger wert und weniger echt als menschliche? Wir haben auf der Ars Electronica in Linz mit der Leadsängerin und Musikproduzentin Rosi (24) von Circuit Minds gesprochen – einer Band, die nicht existiert. Mit Hilfe von KI-Tools hat Rosi die Band als Semesterarbeit für den Kurs “Craving Future Realities” gegründet, ein Album produziert und zudem das gesamte Marketingmaterial der Band KI-basiert erstellt. Warum dabei eine Flamme in ihr erloschen ist, erklärt sie uns, nachdem wir den ersten KI-Song unseres Lebens auf einem analogen Kassettenspieler gehört haben.

Analog vs. digital: Ironischerweise findet man Rosis digital erzeugte KI-Musik auf keiner Streaming-Plattform, sondern nur auf Tape, dem Inbegriff des Analogen.

DOWNTOWN: Rosi, wie bist du dazu gekommen, eine Band zu gründen, ohne eine Band zu haben?

Rosi: Es war ein ziemlich egoistischer Gedanke. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich für meine Semesterarbeit machen wollte. Ich wusste, ich will was alleine machen, und ich will was machen, wo ich „ich“ sein kann. Ich wollte schon immer mal mit coolen Leuten Musik machen, aber irgendwie finde ich Menschen auch sehr anstrengend. Deshalb habe ich diese Idee in der Vergangenheit nie weiterverfolgt. Für die Semesterarbeit dachte ich mir dann: Moment, vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, mit KI-Tools eine ganze Band zu generieren? Und daraus ist dann dieses Projekt entstanden. Zuerst sollte es eine Punkband werden, mit mir als Frontsängerin. Das hat nicht so geklappt. Ich bin aber trotzdem sehr froh über das Resultat und wie es jetzt geworden ist: Nämlich eine all-female, bzw. non-male Synthwave-Band, in der die Sängerin an mich angelehnt ist.

DOWNTOWN:
Um unseren Lesern etwas Kontext zu geben, erzähl von deinem Studium. Wir haben deinen Professor, Andreas, vorhin ja kurz kennengelernt: Du scheinst den coolsten Professor überhaupt zu haben. Mit seinem Kurs “Craving Future Realities” macht er die greifbarste Art von Zukunftsforschung, die wir je gesehen haben. Statt sich in Theorien, Visionen und Vorhersagen zu verlieren, lässt er seine Student*innen wertungsfrei ausloten, was man mit den neuesten Technologien alles machen kann. Und erst dann wird bewertet, was das für das Jetzt und die Zukunft bedeutet.

Rosi: Ja, auf jeden Fall, Andreas Ingerl ist für mich der beste Professor der Welt. Ich studiere seit 2021 Kommunikationsdesign in Berlin an der HTW, der Hochschule für Technik und Wirtschaft, und komme jetzt ins 5. Semester. Ich bin durch Zufall in Andreas’ Kurs “Craving Future Realities” gelandet. Jedes Semester hat er ein anderes Thema, aber es geht immer um Technologien und Zukunftsforschung. Dieses Mal war die Aufgabe: Macht, was ihr wollt, macht was mit Künstlicher Intelligenz und macht es bahnbrechend! Durch diese offene Aufgabenstellung sind sehr unterschiedliche Projekte entstanden, die wir hier auf der Ars Electronica präsentieren.

DOWNTOWN: Wie lange hast du von der Band-Idee zum Plattenrelease gebraucht?

Rosi: Das Projekt Circuit Minds ist in rund 4 Monaten entstanden.

DOWNTOWN: Was waren deine größten Herausforderungen dabei?

Rosi: Ich musste mir ungefähr vier- bis fünfhundert schlechte Songs von der KI anhören, um zwei zu finden, die tatsächlich funktionieren und mit denen ich arbeiten konnte. Und in diesem Prozess ist eine kleine Flamme in mir erloschen. So viel schlechte Musik anzuhören ist schmerzhaft. Und sowieso immer diese Frage: Funktioniert das überhaupt alles? Wie stelle ich das dar? Das war eigentlich bis zum Schluss noch ein bisschen fragwürdig. Ich wusste aber immer, dass ich die Musik später in die analoge Welt holen möchte. Ich wollte etwas Punk-Rock-Attitüde reinholen – weil ich das halt bin – und meine Arbeit genau so präsentieren.

DOWNTOWN: Cool. Was für Tools hast du da benutzt?

Rosi: Für die Musikgenerierung habe ich Aver benutzt, die kreiert Musik anhand meiner Noten und spuckt auch mir die Noten aus, das heißt, mit denen kann man ganz gut weiterarbeiten. Das einzig Echte an dem ganzen Ding ist meine Stimme. Das habe ich dann noch mit Lyrics, die mit ChatGPT generiert sind, angereichert und alles Visuelle – also die Bilder – ist von Midjourney.

DOWNTOWN: Wie stolz bist du auf deine Arbeit?

Rosi: Ich bin sehr, sehr kritisch, und das war ich auch den ganzen Prozess über. Aber die Resonanz, die ich bekomme, lässt mich auch stolz auf das hier sein. Ich denke mir eigentlich die ganze Zeit: Oh Gott, ich hätte noch mehr machen können, und ich hätte noch Spotify und Website machen können und alles. Aber ich mag ja auch den Zauber, dass es nur dieses eine Tape gibt, das hier steht, und dass man das nur hier hören kann, und dass es dieses analoge Ding ist. Die generierten Konzert- und Probenfotos, Tickets, VIP-Pässe und Merch, die hier überall rumliegen, machen es den Besuchern natürlich erst mal schwer, zu verstehen, dass es meine Band eigentlich gar nicht gibt.

DOWNTOWN: It’s all about Storytelling! Stimmung, Bilder, dein ganzes Setting – alles, was du hier aufgebaut hast, wirkt richtig echt – mega!

Rosi: Ja, danke, es macht mir auch Spaß, und genau das war es dann im Endeffekt auch: ein lustiger Prozess, weil zuerst alles in dieser Cloud existiert hat. Ich musste diese ganzen Songs und die ganzen Fotos generieren. Das heißt, ich saß 4 Monate jeden Tag 8 Stunden am Rechner und habe irgendwann auch angefangen, mit der künstlichen Intelligenz zu streiten. Weil wenn man kreativ ist und nichts Gutes dabei herauskommt, dann ist man ja selbst ein bisschen schuld dran. Also in dem Sinne: Ich bin zwar nicht direkt schuld, aber ich will etwas von der KI, das sie mir aber nicht gibt in dem Moment. Und dann wird das so eine ganz, ganz komische Beziehung!

DOWNTOWN: Siehst du dann den Fehler bei dir, weil du die KI falsch promptest, nicht auf den Punkt bringst, was sie braucht, oder liegt es an der KI?

Rosi: Sowohl als auch. Prompten ist ja wie eine Fremdsprache zu lernen und dazu gehört auch zu wissen, okay, wie werden Prompts gewichtet? Welche einzelnen Parameter werden tatsächlich angewandt und welche nicht? Das muss man lernen, und dennoch ist es auch immer ein Trial-and-Error, also zu merken, dass die KI auch nicht immer das macht, was man will, und sich dann zu ärgern.

Finger-Fails – einer der klassischen Fehler bei KI-generierten Fotos

DOWNTOWN: Wenn man genauer hinschaut, kann man zumindest bei den Konzert- und Probenbildern erkennen, dass sie KI-geniert sind.

Rosi: Ja, genau. Die KI hat aktuell noch ein paar typische Probleme. Aber das Interessante ist eben, dass Leute, die sich nicht mit KI auseinandersetzen und keinen Plan davon haben, diese Fehler wirklich nicht sehen. Leute, die sich damit auseinandersetzen, also zum Beispiel bei uns aus dem Studium, die sehen das sofort.

Wir sind die Generation, die eigentlich weiß, dass dieser Planet sowieso zugrunde geht. Und ob das jetzt anhand von Klimakatastrophe oder KI passiert, na ja.
Rosi Pernthaller, Bandleaderin und Managerin von Circuit Minds, Studentin HTW Berlin

DOWNTOWN: Wo liegt für dich das Potenzial der KI, und was erachtest du als Worst Case?

Rosi: Es ist einfach der nächste Schritt. Das Internet wird ja vor allem als Tool für Recherche und Inspiration genutzt: Pinterest ist das beste Beispiel dafür – wirklich jeder, der irgendwas mit Grafik macht, geht ja als allererstes auf Pinterest und guckt sich an, was in dem Feld so gemacht wird und imitiert das oder versucht, sich davon inspirieren zu lassen. Und ich glaube, KI wird in dem Sinne in der kreativen Welt dasselbe tun. Das heißt, wir können es quasi nutzen, um so einen Kickstart zu bekommen in Sachen kreativer Arbeit. Es wird natürlich gleichzeitig viele Bereiche tilgen und überflüssig machen. Deshalb glaube ich, dass wir als Menschheit uns jetzt überlegen müssen, wie wir damit arbeiten und wie wir Lösungen finden, um damit umzugehen.

Dasselbe sehe ich auch bei ganz anderen Themen. Aktuell beschweren sich alle, weil Bachelorarbeiten jetzt mit ChatGPT gemacht werden. Vielleicht ist das Thema Bachelorarbeit auch einfach überholt, und man muss das anpassen an eine andere, moderne Zeit. Natürlich finde ich persönlich das ganze KI Ding auch super fucking creepy, also allein die Tatsache, dass ich hier quasi eine Band vorstelle, von der viele Leute denken, dass sie echt ist, was mich wirklich überrascht. Ich dachte nicht, dass das geht und dass man quasi Leute so hinters Licht führen kann. Das ist auf der einen Seite unfassbar lustig und das mache ich sehr gerne. Auf der anderen Seite stellt man sich die Frage: Okay, wann und wo werde ich selbst verarscht und was hat das gesamtgesellschaftlich für eine Zukunft, wenn wir nicht mehr wissen, “where is the truth”? Und was kann das für Dimensionen annehmen, wenn wir dann vielleicht keine Kontrolle mehr darüber haben? Auf der anderen Seite sind wir ja die Generation, die eigentlich weiß, dass dieser Planet sowieso zugrunde geht. Und ob das jetzt anhand von Klimakatastrophe oder KI passiert, na ja. Deswegen wollen wir die KI für Sachen nutzen, bei denen sie uns jetzt hilft, für das, was uns Spaß macht, und wir wollen damit quasi die Zukunft erforschen.

Uns geht es bei den Projekten darum, valide Wege in die Zukunft zu erforschen. Wir teilen nicht in gut und böse ein, sondern loten erst einmal aus, was technisch möglich ist. Dann wird diskutiert, was das für die Zukunft bedeuten kann, um dann Korridore für neue Technologien zu definieren.
Prof. Andreas Ingerl, HTW Berlin

DOWNTOWN: Warum bewertest du das als Verarschen und nicht als vielleicht eine andere Art von Schaffensprozess?

Rosi: Das sind zwei unterschiedliche Dinge, also der andere Schaffensprozess – da bin ich total bei dir. Aber in diesem Fall: Ich lüge ja absichtlich. Ich hätte auf den Beschreibungstext auch schreiben können, dass es eine KI-generierte Band ist und nichts davon ist echt. Aber das habe ich nicht, ich wollte das so.

Die perfekte Täuschung: Eine handgeschriebene Notiz mit Verweis auf…
…die KI-generierten Erinnerungsstücke der Fake Band suggeriert Authentizität

Natürlich ist es eine gute Frage, was man als echt definiert, und ich glaube, dass wir jetzt gerade noch an dem Punkt sind, das unterscheiden zu können.
Rosi Pernthaller, Bandleaderin und Managerin von Circuit Minds, Studentin HTW Berlin

DOWNTOWN: Und warum ist es nicht echt? Ich kann die Musik ja anhören und mich daran erfreuen – das fühlt sich sehr real an.

Rosi: Na ja, nicht echt im Sinne von … gute Frage, sehr, sehr gute Frage, … nicht echt, weil: Diese Personen auf diesen Fotos existieren nicht. Diese Musik ist nicht durch Musiker*innen entstanden. Da waren zwar Musiker*innen involviert, weil man das ja noch weiterverarbeiten muss, aber diese Personen auf dem Cover haben nie existiert, die Geschichten haben nie existiert, der Name ist KI-generiert, das Logo, die ganzen Festival-Flyer, die Backstagepässe – nichts davon ist echt und von Menschen gemacht. Natürlich ist es eine gute Frage, was man als echt definiert, und ich glaube, dass wir jetzt gerade noch an dem Punkt sind, das unterscheiden zu können. Ich glaube, das ist genau das, was sich in den nächsten Jahren verändern wird: Die Definition von echt und unecht im Sinne von menschlicher oder künstlicher Intelligenz.

Jetzt brauch ich nur noch Groupies, dann ist alles super!
Rosi Pernthaller, Bandleaderin und Managerin von Circuit Minds, Studentin HTW Berlin

DOWNTOWN: Die Beatles haben sich wochen- und monatelang irgendwo eingeschlossen und geprobt, mit echten Instrumenten. Wie fällt dann dazu die eigene Wertschätzung für das Prompten, für das Erschaffen mit der KI im Gegensatz aus?

Rosi: Also, ich glaube, wir sind noch an dem Punkt, wo das alles als Fake gesehen wird: Alles, was mit KI passiert, z. B. ChatGPT ist Fake. Aber dabei ist ja die Perspektive eine andere. Google zum Beispiel: Wenn wir wissenschaftlich etwas suchen, dann nutzen wir Google, stellen uns Informationen zusammen, checken die Quellen und ziehen dann Schlüsse daraus. Unsere Eltern haben das früher eben in der Bibliothek mit Büchern gemacht und wir haben jetzt dieses Tool, ChatGPT. Das ist im Endeffekt nur ein Research-Tool, das macht ja auch nicht so viel und ist noch gar nicht so schlau, wie die Leute denken. Es ist beeindruckend, ja, aber es hat total viele Grenzen, und da stellt sich die Frage: Wie wird sich das verändern und wie verändert sich dann auch die Wahrnehmung von Fake?

DOWNTOWN: Aber fühlst du dich jetzt trotzdem wie eine Bandleaderin, wie eine Band Managerin und eine Band Marketing Managerin?

Rosi: Ein bisschen schon, also, ich habe auch gerade so das Gefühl – jetzt hier in Linz auf der Ars Electronica – dass ich auf Tour bin. Ich fühle mich gerade sehr Rockstar-mäßig. Das ist ziemlich geil. Jetzt brauche ich nur noch Groupies, dann ist alles super!

DOWNTOWN: Die lassen sich wahrscheinlich noch nicht generieren, oder? Rosi, danke dir für deine Einblicke und viel Glück beim nächsten Konzert!

Rosi: Haha, ich glaube nicht! Danke. Ich danke.

Rosis Projekt einer KI-generierten Band wirft viele Fragen auf. Eines ist dabei jedoch klar: Künstliche Intelligenz ist nicht nur eine technische Revolution, sondern auch eine kulturelle. Die Grenzen zwischen Authentizität und Täuschung sind schwimmender denn je – oder kommt es darauf vielleicht gar nicht mehr an? Sondern vielmehr darauf, was Kunst und Musik mit uns machen? Nach dem Interview haben wir die Kopfhörer nochmal aufgesetzt und auf dem Kassettenplayer nochmal auf Play gedrückt.

Mehr Infos zum Uni-Kurs: cfr.vision

Im Zuge ihres KI-Uniprojekts wurde Rosi zur Bandleaderin, Managerin und Marketing Managerin von Circuit Minds

Words: Robin Schmitt, Susanne Feddersen, Felicia Nastal Photos: Robin Schmitt