Schockiert und ungläubig stand sie da. Meine Mom. Ich hatte ihr mit einem verschmitzten Lächeln erzählt, dass ich am Wochenende nach London zum Sex Club gehen werde. Nicht in irgendeinen, sondern in den Sex Club. „Nicht dein Ernst, oder?“, warf mein Vater ein. „Natürlich”, sagte ich – aber …

Keine Frage, ich wollte meine Eltern etwas provozieren. Und habe sie in Panik versetzt. Nicht weil Sex Clubs nicht legal wären, sondern viel mehr, weil es ein Tabu-Thema ist, über Sex und Sexualität, eigene Fantasien und Wünsche offen, direkt und ehrlich zu reden.
Das Verrückte daran: 50 % des weltweiten Internet-Traffics entfallen auf pornografische Websiten. Der Durchschnitt der Männer denkt 34 Mal täglich an Sex. Und auch Frauen sind in dieser Hinsicht keine unbeschriebenen Blätter. Außerdem interessant: Menschen geben Vermögen aus, um potenzielle Partner zu beeindrucken: Schönheits-OPs, teure Klamotten, teure Autos, Uhren, coole Sprüche, dicke Muskeln, Diäten, retuschierte Insta-Pics, teure Parfüms, Aufreißer-Tricks … Doch wofür das alles? Vielleicht lässt sich der Traumpartner beeindrucken, doch dass daraus eine Traumpartnerschaft wird, dafür braucht es nochmals ganz andere Zutaten. Einige davon findet man nicht im Supermarkt, in besagtem Sex Club aber schon, dazu gleich mehr.

Egal, ob bewusst oder unbewusst: Scham, Tabu, Zweifel und Ängste begleiten uns alle beim Thema Sexualität – dabei ist es doch eine der schönsten Sachen der Welt? Und fundamentaler Bestandteil unserer Persönlichkeit, egal wie offen oder verklemmt wir damit umgehen, sie ausleben oder unterdrücken. Deshalb ist klar: Wir müssen über Sex reden! Das kann man in der Theorie zwar überall, aber oftmals fehlt der sichere Rahmen, die Gesprächsöffner und der Themenhorizont. Klingt abstrakt? Deshalb sind wir kurzerhand für ein Wochenende nach London gereist! Wohin? In den besagten Sex Club. Ach ja – und im Nachgang habe ich natürlich noch ein Interview mit Sex-Club-Gründerin Juliane Mueller, Jules genannt, geführt. Ihr Partner Conor Gregg hat den Kurs mit ihr geleitet, konnte jedoch beim Interview danach leider nicht dabei sein.

Es wird ernst: Was erwartet einen beim Sex-Workshop?

Wird das cringe? Ich lande in London und habe keine Ahnung, was mich erwarten wird. Auf der Website haben unzählige positive Bewertungen und das moderne Design überzeugt und vermittelt: Das wird cool, das wird modern und hip. Aber wie wird es tatsächlich werden? Wie werden die anderen im Kurs drauf sein? Und werde ich da als Newbie gut reinpassen?

Statt Beklommenheit spür ich positive Vibes, als ich den Sex Club von Jules und Conor in London Hackney betrete. Meine Eltern malen sich wahrscheinlich gerade aus, wie ich in die Welt der Dark Rooms und Liebesschaukeln eintauche. In Wirklichkeit aber: lichtdurchflutete Räume im Boho-Style, eine Mischung aus Wohnzimmer und Yoga-Lounge mit Zimmerpflanzen und bunten Kissen auf dem Boden. Ein richtig angesagter Ort, die Leute sind nett und interessiert, alles überhaupt nicht abgedreht. Interessant: So wie mir geht es vielen – fast alle sind zum ersten Mal dabei. Haben teils länger dafür gespart und es sich als Highlight in den Kalender gepackt.
Zur Einführung erklärt uns Jules erst einmal die Basics: Sie hat den Sex Club 2017 zusammen mit ihrem Partner Conor Cregg gegründet und bietet mittlerweile Workshops in London und Berlin sowie auch online an. Die Workshops sind für alle ab 18, egal ob in einer Beziehung oder Single, jung oder alt, viel Sex oder keinen Sex habend. Monogam oder polygam? Völlig egal. Was sie aber alle mitbringen: Neugier. Denn man wird ungeahnte Entdeckungen machen und sich die Fähigkeit aneignen, Sex endlich als normales Thema zu behandeln. Ziel der Workshops: Ein größeres Bewusstsein und eine Sprache über die eigene Sexualität zu entwickeln. Es ist ein Raum, in dem die Teilnehmenden lernen, sich ohne Scham und mit voller Verletzlichkeit auszutauschen, voneinander zu lernen, Beziehungs-Dynamiken zu erkennen, sich ihrer Wünsche und Bedürfnisse bewusster zu werden, Fantasien zu entwickeln und durch Impulse neue Horizonte und Perspektiven zu erreichen. Sexuelle Befreiung und Empowerment, here I come!

Juliane Mueller bietet Workshops an, bei denen sich die Teilnehmenden offen über Sex austauschen.
Zimmerpflanzen und gemütliche Sitzkissen sorgen für die nötige Wohlfühlatmosphäre.

Wir tauschen uns über alles aus, nur nicht über Sex. Warum?

Unterhaltsame Aufklärungs-Serien wie Sex Education boomen und sprechen nicht nur Kids, sondern vor allem Erwachsene an. Die Deutschen sind laut einer aktuellen Netflix-Studie zur Sexualität der Deutschen angeblich überhaupt nicht mehr so verklemmt, wie sie mal waren. Aber ein ungezwungener Austausch über unsere sexuellen Bedürfnisse, Wünsche und Erfahrungen am Dinner-Table? Bei der Mehrheit never ever denkbar. Wir sind es doch aber gewohnt, uns zu allen Themen, die uns beschäftigen, bis ins kleinste Detail auszutauschen: Anlagemodelle für die Altersvorsorge, Melatoninsprays gegen Schlaflosigkeit. Die Apple Watch als Lebensretter, die uns auf dem Road-Bike vor einem herannahenden Herzinfarkt warnt. Selbst über Katastrophen in der Erziehung unserer Kinder sprechen wir offen und ehrlich im Freundeskreis. Wir profitieren von den Erfahrungen der anderen in allen Lebensbereichen. Wir teilen unsere Sorgen und Freuden mit ihnen. Hier erkennen wir, dass der Austausch unser Leben bereichert. Dort aber, wo es um eines unserer ursprünglichsten Bedürfnisse geht, gerät unser Austausch ins Stocken – und geht ganz selten ins Detail. Aber genau da wird es spannend und lehrreich!

Dumm bumst gut – oder schlecht? Warum ist Sexualität unterintellektualisiert?

Wir wollen auf dem Mars landen, aber die Klitoris richtig zu erforschen, haben wir noch nicht geschafft. Studien zu female pleasure oder BDSM, VHS-Kurse zu sexuellem Empowerment – man findet kaum etwas. Und Sexualkunde in der Schule sieht heute oft noch so aus wie vor 30 Jahren: Kondome gegen ungewollte Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten. Pro Familia bei Pannen. Die Freude an der Lust, die Erkundung des eigenen Körpers, weibliche und männliche Orgasmen – nix. Dabei muss man den Umgang mit der eigenen Sexualität, mit allem was da an Emotionen und Bedürfnissen hochkommt, sowie Sex selbst lernen. Doch weder Schule noch die meisten Eltern kümmern sich darum und selten werden die Kids aktiv an die Hand genommen, um sie bei ihrer sexuellen Entwicklung zu begleiten. Vielleicht auch, weil die eigenen Unsicherheiten der Eltern dem im Weg stehen?

Was bleibt dann noch zur Orientierung? Pornos? Verkörpern auch nicht die besten Rollenbilder, oder? Im besten Fall trifft man einen Partner oder eine Partnerin, die schon mehr Erfahrung haben und von denen man lernen kann. Fakt ist jedoch: Im Erwachsenenalter hallt die Unsicherheit der Teenie-Jahre bei vielen noch nach. Einfacher ist es dann, die gängigen Vorstellungen von einer Person, die ‘gut im Bett’ ist, zu bedienen, selbst wenn man vielleicht spürt, dass man andere Bedürfnisse hat. Offenes Reden über die eigenen Fantasien und Erfahrungen – selten.

Im Sex Club mit Wohnzimmer-Feeling werden vormals Fremde zu intimen Gesprächspartner*innen.

Wie funktioniert ein Sex Club ohne Sex – mit Klamotten?

„Eine Band probt ja auch erst mal im Proberaum und geht nicht straight auf die Bühne.“ So erklärt Jules das Besondere an ihrem Sex Club. Denn dort – entspannt euch, Mom und Dad – gibt es keinen Sex! Nicht, weil das verwerflich wäre, sondern vielmehr, weil das Setting für einen Austausch ein anderer sein sollte. Was Jules und Conors Sex Club auszeichnet, ist der Safe Space, den sie kreieren. Ein Safe Space, in dem man sich öffnen und verletzlich zeigen kann. Man tauscht sich mit Fremden über die intimsten Dinge aus, ohne das Gefühl, be- oder verurteilt zu werden, ohne Gossip. „Viele sprechen Dinge aus, die sie bis dahin noch nie ausgesprochen haben.“, sagt Jules. Warum niemand nackt ist? Der Raum im Sex Club soll „desexualisiert” sein. „Die Aufmerksamkeit wäre anderswo, mehr beim Körperlichen, wenn man bei den Gesprächen nackt wäre.“, meint sie. Außerdem seien „die Stakes höher, wenn man nackt ist, da kann man mehr verlieren, sich mehr bloßstellen.“ Deshalb haben hier alle Klamotten an. Und der schicke Boho-Raum gehört natürlich dazu wie der Espresso Tonic in ein hippes Café – wohlfühlen deluxe!

Jules und Conor haben den Sex Club gegründet.

Wochenend-Retreats im Sex Club

Conor und Jules bieten drei Wochenend-Kurse mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten an – von Orgasmen über Liebe und Wahrheit bis hin zu Grenzen und Fantasien. Da die Kurse nicht aufeinander aufbauen, kann jeder Kurs unabhängig von Vorerfahrungen besucht werden. Darüber hinaus gibt es Online-Seminare. Egal, ob es dabei um Verlangen, Grenzen, Ängste, Liebe, Wahrheit, Sinnlichkeit, um Scham, um Orgasmen oder Slow Sex geht – neue Sichtweisen, Impulse und Inspiration sind dabei fast schon garantiert. Auch wenn wir einige dieser Wörter jeden Tag benutzen, hängt die Bedeutung davon ab, was wir darunter verstehen. Oft verwenden wir viele Begriffe nur phrasenhaft, und ernsthafte Fragen dazu haben wir uns selten gestellt: Was ist meine Beziehung zu meinen Orgasmen? Wie und wann komme ich (überhaupt)? Und wie ist die Qualität meiner Orgasmen und wovon hängt das ab? Wer nicht einfach nur bumst, sondern sich mit seiner Sexualität und seinem Sex auseinandersetzt, hat gute Chancen, eine der schönsten Sachen der Welt noch schöner, intensiver, freier und ehrlicher zu machen. Gut, oder?

Mit allen Freunden, Bekannten und Kollegen, mit denen ich im Nachgang gesprochen habe, wurde klar: Kaum einem ist bewusst, welche Dynamiken und Aspekte es im eigenen Verhalten und der eigenen Sexualität zu entdecken gibt. Kein Wunder, wir sind darin einfach nicht geschult. Die gute Nachricht: Sobald man weiß, dass etwas existiert und eine grobe Idee davon hat, kann man sich damit auch auseinandersetzen, selbst auf die Suche gehen, lernen und sich weiterentwickeln!

The Wheel of Consent – Seid ihr euch eurer Intentionen bewusst?

Ein spannendes Konzept während des Sex Clubs in London war das Wheel of Consent. Die Idee dahinter: In jeder zwischenmenschlichen Handlung – egal ob Kuss, Umarmung oder Blowie – gibt es unterschiedliche Dynamiken bzw. Intentionen in der Handlung. Und diese zu erkennen und verstehen, gibt einem nicht nur mehr Selbstbestimmung, sondern auch Klarheit und vielleicht auch Hotness, indem man sich einer Intention bewusst verschreibt.

Entwickelt wurde das ganze von Betty Martin, die auf ihrer Website eine Fülle an kostenlosen Ressourcen hierzu anbietet. Sie unterteilt eine Interaktion in unterschiedliche Zonen und hilft uns zu erkennen, in welcher Zone wir uns gerade befinden und wie Zustimmung in jeder dieser Zonen funktioniert. Diese Zonen unterscheiden sich wiederum darin, wer die Aktion initiiert und wem sie zugutekommt.

Das Rad teilt die Interaktionen in vier Quadranten auf: Nehmen, Erlauben, Dienen und Akzeptieren. Jeder dieser Quadranten beschreibt, wie Zustimmung in unterschiedlichen Situationen funktionieren kann.

Ein greifbares Beispiel für die unterschiedlichen Zonen des Wheel of Consent ist der Austausch eines Kusses:

Nehmen: Du fragst: „Darf ich dich küssen?” Nach einem enthusiastischen Nicken nimmst du die Schultern deines Gegenübers fest in die Hände und drückst deine Lippen auf seine, während deine Zunge eindringt und du die aufsteigende Hitze und Erregung spürst.

Erlauben: Dein Gegenüber fragt: „Darf ich dich küssen?”, und nach deinem geflüsterten „Ja” nähert er sich dir, kippt deinen Kopf zurück und bringt seine Lippen auf deine. Du öffnest den Mund und lässt ihn übernehmen, wissend, wie erregend es für ihn ist, dies zu tun.

Dienen: Dein Gegenüber bittet: „Küss mich bitte.” Mit einem „Ja” antwortest du und näherst dich langsam, um seine Reaktion abzuschätzen. Du küsst ihn sanft, achtest auf seine Bewegungen und Atmung, um zu erkennen, wie dein Kuss ankommt. Es geht darum, ihm Vergnügen zu bereiten. Nach einer Weile hältst du inne und fragst: „Und, wie ist es?” Er errötet und antwortet: „Unglaublich … Bitte, mach so weiter …”

Annehmen: Du bittest: „Küss mich.” Sofort kommt die erfreute Antwort: „Oh ja.” Dein Gegenüber legt die Arme um dich und beginnt, deinen Mund mit seinen Lippen zu erkunden, zunächst zögerlich. Du machst zustimmende Geräusche und ziehst ihn an dich, um genau zu zeigen, wie es dir gefällt.

Diese Beispiele zeigen die Dynamiken und Richtungen an, die ein Kuss haben kann und bieten einen Impuls, um über Zustimmung nachzudenken und die eigene und die Zustimmung anderer besser zu verstehen. So kommen wir zu sexueller Übereinstimmung mit unseren Lovern und dadurch zu mehr sexueller Erfüllung.

Wir bumsen oft aneinander vorbei: Grenzen durch Fehlannahmen

Meine Erkenntnis: Bereits im Alltag – wo wir es gewohnt sind, uns auszutauschen und zu diskutieren – kommt es zu unglaublich vielen Missverständnissen und Fehlannahmen. Wie häufig kommt es vor, dass man denkt, man wisse schon, was das Gegenüber sagen will und hört dann gar nicht richtig zu. Und umgekehrt dasselbe. Mal ehrlich: Wie oft reden wir im Alltag aneinander vorbei?
Wenn es richtig intim wird, sprechen wir meist noch weniger miteinander. Vielleicht, weil wir denken zu wissen, was das Gegenüber will. Oder weil Scham und Ängste uns zurückhalten, wir nicht zu unseren Bedürfnissen stehen bzw. uns nicht trauen, sie klar zu kommunizieren. Die wenigsten von uns haben bis dato vom Wheel of Consent gehört. Gerade in längeren Beziehungen vergessen wir auch leicht, dass Menschen sich verändern und damit auch ihre Sexualität und Bedürfnisse im steten Wandel sind. Oftmals hat man sich auf eine Weise mit gewissen Vorlieben kennengelernt und denkt, sie seien in Stein gemeißelt. Wenn sich dann etwas stark ändert, weil der Mensch sich weiterentwickelt, ist das für uns als Partnerin oder Partner manchmal komisch oder wir kriegen es nicht einmal mit. Mein Learning aus dem Workshop: Sich selbst wahrzunehmen und seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse dann auch auszusprechen, ist nicht nur superwichtig für einen selbst, sondern essenziell für eine gute Partnerschaft und gesunde Sexualität.

Der Sex Club regt dazu an, die eigene Sinnlichkeit und Laszivität zu entdecken – für diese steht auch die Feige.

Beim Sex-Club-Workshop kann man seinen Master in Communication machen

Jules hat über die Jahre mit hunderten von Teilnehmern festgestellt, dass selbst in sexpositiven Räumen wie ihren Workshops Menschen sich oft noch unwohl dabei fühlen, sich über ihr Erleben auszutauschen. Immer schwingt eine gewisse Angst mit, blöd dazustehen, wenn man sein Innerstes auskehrt.
Im Sex Club lernen wir, dass es aber nicht um das Ob, sondern um das Wie geht: How you ask is everything! Man kann über alles sprechen, nur der Rahmen muss dafür stimmen.

Und genau den bieten Jules und Conor. Stichwort: Safe Space. Und der lässt sich kreieren. Im Sex Club genauso wie im Schlafzimmer. Das Spannende daran ist, dass es keine sexspezifische Angelegenheit ist, sondern die gleichen Aspekte auch im Kommunikations-Alltag gelten: egal, ob auf der Arbeit oder beim Abwasch.

Letztlich geht es auch beim Sex Club nie nur um Sex, es geht immer um alles. In der eigenen Sexualität steckt eine unglaubliche Kraft. Sie ist ein Spiegel unseres Alltags und wie wir mit uns und anderen umgehen. Hier wie dort geht es darum, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir uns kommunizieren: unsere Zustimmung und unser Einverständnis, unsere Wünsche, Bedürfnisse, Unsicherheiten, Verletzlichkeiten und individuellen Grenzen. Wer über schambehaftete und tabuisierte Themen offen, ehrlich und unverhüllt sprechen lernt, kann es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in allen anderen Bereichen des Lebens. Das potenziert nicht nur die Communication Skills, sondern hebt das Dasein auf ein anderes Level: Sich selbst ehrlich zeigen zu können, Verletzlichkeit als Stärke zu begreifen und mit anderen Menschen authentisch zu connecten, werden zur Superpower. Dadurch kann man manche Menschen verlieren, die damit nicht umgehen können – ABER: Die richtigen kommen dafür ins Leben.

Jules: „Es ist interessant, dass wir denken, dass das Thema Orgasmus für unsere Partner*innen reserviert ist. Warum sollen wir uns nicht austauschen über eines der genialsten Phänomene, die man als Mensch erleben kann? Ich finde es wichtig, dass man sich auch mal am Dinner-Table mit den Freunden austauschen kann, ohne dass es belächelt wird.“

Praktische Übung

Bock auf einen Selbstversuch? Wer den „Sex Talk“ à la Jules und Conor ausprobieren möchte, kann das zunächst mal mit einer Person des Vertrauens tun – es muss ja (noch) nicht gleich das Familienfest sein.

  1. Schafft euch euren eigenen Safe Space: Setzt den Rahmen des Gesprächs, indem ihr eure Erwartungen und Grenzen kommuniziert – was ist die Absicht des Gesprächs, was sind Grenzen und No-Gos? Zum Beispiel: „Ich will heute mit dir über Orgasmen reden und mich darüber mit dir offen und ehrlich austauschen. Es ist sehr wichtig, dass wir uns gegenseitig einfach nur zuhören und uns aussprechen lassen: wertungsfrei und ohne eigene Gedanken. Alles, was wir besprechen, soll diesen Ort nicht verlassen und ist auch für keine anderen Ohren bestimmt. Ich bitte dich, das zu respektieren – und werde es natürlich auch tun!“
  2. Die Übung: Wählt euch ein Thema und definiert im Vorfeld spannende Fragen. Zum Beispiel zum Thema Orgasmen: Wie haben sich meine Orgasmen über die Jahre verändert? Welche Ängste, Wünsche und Unsicherheiten begleiten mich dabei? Was hilft mir, dass ich (überhaupt) komme? Und was ist die schönste Art? Falls man keine hat: Was sind die größten Hindernisse?

Für Jules spielt das Kopfkino eine riesige Rolle: „Es ist nicht nur Technik. Wenn mich beispielsweise jemand leckt, denke ich oft: Hat derjenige noch Spaß, das dauert schon so lang? Wenn ich demjenigen vorab diese möglichen Gedanken mitteile, kann er anders agieren. Ich kann sagen, was ich da dann brauche, z. B. keinen Druck. Oder ob es für mich okay ist oder nicht, wenn ich dabei nicht komme.“
Die Aufgabe im zweiten Schritt: Was ist meine Beziehung zu den Orgasmen meines Partners oder meiner Partnerin? Was macht mich unsicher? Muss er oder sie kommen? Wie sind meine Erfahrungen mit den Orgasmen meiner vorherigen Partner*innen?

Wenn wir durch einen solchen Austausch unser Gegenüber und uns selbst besser verstehen, dann kann das ein richtiger Boost für unser ganzes Leben sein. To grow and glow.

Mein Takeaway

Rückblickend kann ich sagen: Hätte ich die Inhalte des Workshops mit 14 schon bekommen, wäre das superhilfreich gewesen. Nicht nur für den Sex, sondern auch für die Entwicklung meiner Persönlichkeit. Es ist sehr selten der Fall, dass man hierin gut begleitet wird, und wenn doch, dann meist durch Zufall, weil man jemanden getroffen hat, der schon mehr Erfahrung oder einen weiteren Horizont hatte. Richtig oder falsch gibt es dabei nicht, wichtiger ist, sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse besser kennenzulernen und auszudrücken.

Und genau das ist das Tolle am Sex Club von Conor und Juliane. Sie sagen einem nicht: „So oder so ist es richtig!“, sondern bieten Impulse, Fragen und Übungen an, die uns die Lösungen selbst finden lassen. Damit setzen sie Prozesse bei den Teilnehmenden in Gang und normalisieren es, über Sex zu sprechen.
Die Netflix-Serie „Sex Education“ ist nicht nur unterhaltsam und international supererfolgreich, sondern bringt auch viel theoretisches Verständnis für Jung und Alt. Doch der Unterschied zwischen Popcorn und Zuschauen versus sich selbst aktiv erkunden und sich öffnen, ist riesig.

Wer’s selbst ausprobieren will:
Mehr Infos gibt es unter sexclubme.com und bettymartin.org

Words: Robin Schmitt, Felicia Nastal Photos: Robin Schmitt