KETTLER Alu-Rad schickt mit dem CARGOLINE FS 800 ein vollgefedertes E-Cargo-Bike in unsere Städte, das durch enormes Ladevolumen, satte Reichweite und herausragendes Handling ernsthaft die Frage aufwirft: Braucht ihr euren Kleinwagen überhaupt noch? Abgesehen von wenigen Schwächen des E-Lastenrad-Giganten zeigt unser Test: Nein!
Mit dem CARGOLINE FS 800 schickt KETTLER Alu-Rad ein vollgefedertes Long-John-Lastenrad in den Test und bringt uns zum Grübeln, wie viele Räder wir für unser urbanes Leben wirklich brauchen: Die vier Stück, die sich an unserem Kleinwagen drehen, oder eigentlich meist nur die zwei Räder dieses 2,61 m langen Cargo-Bikes? Mal eben die Kids in die KiTa shutteln und danach den Wocheneinkauf mitsamt Getränkekisten erledigen oder vom Trödelmarkt spontan diesen schönen Tisch mit nach Hause nehmen? Mit dem CARGOLINE FS 800 für 7.999 € schafft ihr das meistens auf zwei statt vier Rädern und es kann sogar euer Auto in überraschend vielen Anwendungen ersetzen. Das Beste daran: Ihr habt auf dem Weg wahrscheinlich sogar mehr Spaß! Denn das KETTLER trumpft nicht nur mit enormem Ladevolumen und mächtiger Akkukapazität auf, sondern vor allem auch mit einem komfortablen, sicheren und richtig intuitiven Handling. Das CARGOLINE FS 800 schafft es, Heavy-Duty-Qualitäten mit echtem Fahrvergnügen zu verbinden.
Die Ausstattung des KETTLER: Bosch-Antrieb und MTB-Komponenten
Das CARGOLINE FS 800 basiert auf einem Hauptrahmen aus Aluminium, in dem ein Bosch Cargo Line-Motor bis zu 85 Nm Drehmoment und 400 % Unterstützungsleistung zur Verfügung stellt. Der Bosch PowerTube-Akku mit 625 Wh ist bodennah und direkt unter der Ladefläche ins Gestänge integriert. Diebstahlschutz und ein für das Handling sinnvoller tiefer Schwerpunkt gehen hier Hand in Hand. Durch einen optionalen zweiten Akku wird die Kapazität auf satte 1.250 Wh verdoppelt. Das gibt dem KETTLER die nötige Power und Reichweite, um das zulässige Gesamtgewicht von stolzen 250 kg von A nach B und dann auch wieder zurück nach A zu befördern. Unser Test-Bike bringt 56 kg auf die Waage und verfügt über eine maximale Zuladung in der Cargo-Box von 100 kg. Rechnerisch bleiben dann immer noch 94 kg Zuladung übrig, die es sich auf dem Sattel bequem machen dürfen.
Und bequem trifft es, denn wer am Ende auf dem KETTLER Platz nimmt, ist ziemlich egal: Das Cockpit ist mit wenigen Handgriffen auf fast jede Körpergröße einstellbar. Alle aus der DOWNTOWN-Test-Crew zwischen 1,65 m und 2,00 m haben auf dem Cargo-Bike eine jeweils passende Position finden können. Wenn ihr den massiven Kipphebel unter dem Lenker öffnet, könnt ihr diesen sowohl in der Neigung als auch in der Höhe einstellen. Genauso schnell bringt ihr den Sattel in eure Wunschhöhe, indem ihr am Lenker den Daumenhebel der absenkbaren Sattelstütze betätigt, der an Mountainbikes üblich ist. Was am MTB ein rasches Absenken des Sattels für Bewegungsfreiheit auf Abfahrten liefert, funktioniert am KETTLER perfekt für eine blitzschnelle und stufenlose Höheneinstellung – und für ein einfaches Auf- und Absteigen. Clever! Wem der Einstellbereich nicht ausreicht, der kann einfach die ganze Sattelstütze höher oder tiefer im Rahmen montieren. Und das CARGOLINE nutzt noch weitere Komponenten aus dem MTB-Bereich sinnvoll in seinem urbanen Einsatzgebiet: Die leistungsstarken hydraulischen Scheibenbremsen von MAGURA bringen auch Enduro-Biker*innen und Bikepark-Fans verlässlich zum Stehen und versprechen auch am Cargo-Bike ausreichend Verzögerung und Reserven. Die mechanische SLX-Gangschaltung von Shimano bietet 12 Gänge und eine große Bandbreite von 510 %. Der typische Schalthebel am rechten Griff wirkt von vielen Mountainbikes her vertraut. Was am KETTLER leider nicht aktuellem MTB-Standard entspricht, ist der windige Schnellspanner am Hinterrad mit vorzeitlichem 9 mm Achsdurchmesser. Das belastete Hinterrad kann sich so im Rahmen etwas verwinden und unter Umständen für eine schleifende Bremse sorgen. Solch ein Cargo-Riese braucht eine solide geschraubte Achse!
Neben einem mittig unter dem Rad platzierten Ständer findet ihr am KETTLER außerdem vorne und hinten eine integrierte Beleuchtung, hinten einen zusätzlichen Gepäckträger für bis zu 25 kg Zuladung, Schutzbleche und ein fest montiertes Rahmenschloss. Weniger sichtbar, aber mindestens genauso wertvoll wie diese Anbauteile ist die Federung des CARGOLINE FS 800. Unter dem Sattel finden wir, ähnlich wie an vielen Mountainbikes, einen RockShox Monarch-Luftdämpfer, der dezent in den Aluminiumrahmen integriert ist und dem 26’’ großen Hinterrad 70 mm Federweg gibt. Spannend wird es an der Front, wo in einem unscheinbaren Spalt im Hauptrahmen am Ende der Frachtbox ein weiteres Gelenk mit einem Elastomer für 45 mm Federweg am 20’’ kleinen Vorderrad sorgt. Das KETTLER ist damit ein echtes Lasten-Fully.
Der sprichwörtliche Elefant im Raum und Herzstück des KETTLER ist aber ohne Frage die riesige Ladebox, die zwischen dem Lenker und dem irgendwo weit vorne dahinrollenden Vorderrad thront. Wir testeten die Variante aus zusammengesteckten und miteinander verzurrten Holzfaserplatten, die etwa 300 l Ladevolumen bietet. Zum Vergleich: Im Kofferraum eines VW e-Up ist bei rund 250 l Schluss. Als zusätzliche Optionen bietet KETTLER für die Holzbox noch eine senkrechte Trennwand sowie Sitzschalen mit Gurten für zwei Kinder. Flach in den Boden der Holzbox integriert, findet sich ein kleines Schließfach für Wertsachen. Alternativ zur Holzbox kann das CARGOLINE FS 800 aber auch direkt mit einer metallischen Kindersitzbox gewählt werden – mitsamt Überrollbügel und Dach. Wer seine Fracht auf dem KETTLER stattdessen vor allem sicher wegsperren möchte, kann als dritte Option auch eine geschlossene Cargobox aus Metall wählen. Egal, ob vielseitiger Lastenesel, Kids-Shuttle oder rollendes XXL-Wertfach – das CARGOLINE FS 800 bietet euch eine passende Aufbauoption.
Das KETTLER Alu-Rad CARGOLINE FS 800 im Test
Mit etwas Kraft den Klapphebel am Lenker geöffnet, gewünschte Höhe und Neigung eingestellt und schon fühlt sich das CARGOLINE passend an! Zusammen mit der auf Knopfdruck stufenlos verstellbaren Sitzhöhe dank Teleskopsattelstütze finden auf dem KETTLER verschiedenste Fahrertypen ohne langes Gefummel oder gar Werkzeug ihren Platz. Das ist Gold wert, wenn man sich das Lastenrad mit anderen teilen möchte!
Das Beladen der tief liegenden Holzbox braucht keine Erklärung. Beachtet nur, dass eure Fracht auf den glatten Holzplanken rutschen kann und zurrt sie am besten mit ein paar zusätzlichen Gurten oder Gummibändern fest. Die Schlitze und Öffnungen in den Brettern bieten euch dafür zahlreiche Optionen. Als Sahnehäubchen hätten wir uns sogenannte Airline-Schienen in der Ladefläche gewünscht. Sie kommen etwa am cluuv e-cargo-Lastenrad zum Einsatz, das wir euch in unserem Eurobike 2021-Highlight-Artikel vorgestellt haben.
Intuitives und simples Handling
Hat man einmal geschafft, es in Schwung zu bringen, fährt sich das CARGOLINE FS 800 überraschend agil. Obwohl man das Vorderrad durch die Holzbox nur zum Teil sehen kann, gibt das KETTLER rasch das Gefühl, alles im Griff zu haben. Ihr traut euch nicht zu, ein 2,61 m langes Gefährt mit schwerer Fracht sicher über Straßenkreuzungen und Radwege zu manövrieren? Keine Sorge, das KETTLER steuert sich wirklich intuitiv und zeichnet sich auch unter Last durch guten Geradeauslauf aus. Der Bosch Cargo Line-Antrieb liefert mit seinen vier Unterstützungsmodi von Eco bis Turbo geschmeidig und unauffällig die nötige Motorpower, um ohne Schweißränder durch die Stadt zu cruisen, die grüne Ampel mal eben noch zu schaffen und auch den nächsten Hügel easy hochzukommen. Und das Cockpit des KETTLER mit manueller Shimano-Schaltung mit 12 Gängen und starken MAGURA-Scheibenbremsen vermittelt viel Vertrautheit und Sicherheit. Hier braucht ihr euch an nichts zu gewöhnen – alles am Lenker des CARGOLINE fühlt sich so an, wie ihr es schon von anderen Rädern kennt!
Sanft wie ein Mercedes
Richtig gut gelungen ist KETTLER das vollgefederte Fahrwerk des CARGOLINE FS 800. Vor allem mit Beladung spielen der Luftdämpfer am Heck und die Elastomer-Federung an der Front klasse zusammen. Auch wenn ihr aus Versehen durch ein Schlagloch rumpelt, eine Bordsteinkante überquert oder die Abkürzung über den Waldweg nehmt, rollt ihr auf dem KETTLER weich wie in einem stolzen alten Mercedes – trotz der zwei Kisten Rotwein und der Yucca-Palme, die sich vor euch im Fahrtwind wiegt! Die tief liegenden Akkus bringen den Schwerpunkt des Lastenrads weit nach unten, was ihm ein sehr stabiles Fahrgefühl verschafft. Hier flattert außer der Palme nichts!
Trotz Fully-Feeling und großem Sicherheitsgefühl kann das KETTLER bei rasanter Fahrt richtig laut werden. Die Teile der gesteckten Holzbox haben etwas Spiel und klappern daher gegeneinander und das Lenkgestänge sowie der Ständer schlagen bei großen Erschütterungen von unten gegen den Hauptrahmen. Das scheppert ordentlich und kann euch glauben lassen, dass das CARGOLINE gerade an den Rand seiner Komfortzone kommt. Doch der nervige Lärm täuscht. Das CARGOLINE FS 800 hält souverän seine Spur und hat die Bezeichnung als Lasten-Fully wirklich verdient. Und immerhin könnt ihr die Geräusche von Lenkgestänge und Ständer selbst beseitigen, indem ihr den Hauptrahmen an den Kontaktstellen mit fleischigem Klebeband abdeckt oder mit einem Stück eines alten Fahrradschlauchs umwickelt. Dann klappt’s auch mit dem lärmempfindlichen Nachbarn!
Licht und Schatten: Die Lenkung
In Kurven und bei Lenkmanövern überrascht das CARGOLINE mit direktem Handling und einem wirklich spaßigen Fahrgefühl. Nein, ihr braucht definitiv keinen LKW-Führerschein, um mit diesem Lastenrad klarzukommen! Okay, je nach Beladung und Geschwindigkeit kann eure Fracht in Kurven kippelig werden und ein Ausbalancieren erfordern. Doch das gelingt easy und fühlt sich nicht bedrohlich an. Die Übertragung der Bewegungen am Lenker über das Lenkgestänge unter dem Rahmen hin zum Vorderrad ist weder nervös noch träge, sondern harmonisch direkt – aber nur solange ihr nicht eng einschlagen müsst, wie bei langsamen Kurven und beim Rangieren. Hier patzt KETTLER nämlich, weil das CARGOLINE einen deutlich zu großen Wendekreis hat. Macht euch bei langsamer Fahrt und beim Rangieren darauf gefasst, den Fuß aufsetzen zu müssen, weil euch das Ende des Lenkeinschlags überrascht und ihr dazu neigt, nach innen in die Kurve zu kippen. Am Endanschlag der Lenkung stoßen am Vorderrad außerdem das Innere der Vorderradnabe und das Achsgehäuse aufeinander und beschädigen sich dadurch gegenseitig. Sowohl für seinen zu großen Wendekreis als auch für den ungeschützten Endanschlag der Lenkung verliert das KETTLER also ein paar Punkte.
Ein weiterer Schwachpunkt der Lenkmechanik zeigt sich bei seitlichen Impulsen ins Vorderrad, zum Beispiel beim ruckartigen Einschlagen, beim schrägen Überfahren von Bordsteinkanten oder eben beim harten Anschlag am Ende des Lenkradius. Der Lenker verdreht sich dann viel zu leicht und steht nicht mehr rechtwinklig zum Vorderrad. Grund hierfür ist eine zu schwache Klemmverbindung zum Lenkgestänge. Auch die sollte KETTLER nachbessern – etwa mit einer zweiten statt nur einer einzelnen Klemmschraube und mehr Klemmfläche, was bei herkömmlichen Vorbauten schließlich auch problemlos funktioniert. Montagepaste und überhöhtes Drehmoment an der kritischen Stelle sind keine gute Lösung. Doch ohne dem rollt das CARGOLINE mit schiefem Lenker durch die Gegend.
Ziehen statt Wuchten
Ein Highlight des CARGOLINE FS 800 ist wiederum die praktische Handhabung des Bodenständers. Auch ohne Fitnessstudio gelingt es easy, das CARGOLINE nach der Fahrt auf den massiven Klappfuß zu hieven. Dank der flachen Hebekurve muss das Rad nämlich weniger nach oben auf den Ständer gehoben werden, sondern es rollt vielmehr flach in seine Standposition hinein. Das gelingt auch ohne tägliche Klimmzüge! Einfach den Ständer mit einem Fuß auf den Boden drücken, an den Griffen entschieden nach hinten ziehen und schon sackt das CARGOLINE bereitwillig in seine stabile Parkposition. Achtet bei dieser Bewegung nur darauf, den Fuß rechtzeitig vom Ständer zurückzuziehen, sonst kann euch die Kante des Akkufachs schmerzhaft das Schienbein stoßen. Das Ausparken ist sogar noch einfacher: Sobald ihr das KETTLER mit etwas Schmackes in Fahrtrichtung drückt, klappt der Ständer mit einem (sehr) lauten „Klonk” nach oben und wartet unter die Ladebox geschmiegt auf seinen nächsten Einsatz. Ihr erinnert euch in diesem Moment an die bereits angesprochenen Hilfsmittel im Sinne einer guten Nachbarschaft.
Unser Fazit zum KETTLER-Lastenrad
Das vollgefederte KETTLER CARGOLINE FS 800 E-Cargo-Bike fährt sich trotz enormem Ladevolumen komfortabel, passt sich allen Fahrergrößen an und bietet, einmal in Schwung, richtig Fahrspaß. In engen Kurven stört jedoch der zu große Lenkwinkel. Außerdem nerven die lärmenden Anbauteil und der leicht verdrehende Lenker. Ansonsten macht dieses Lastenfahrrad Lust, den Kleinwagen einfach mal stehen zu lassen und die Fahrt zu KiTa, Supermarkt und Getränkehändler auf zwei statt auf vier Rädern zu rocken.
Tops
- sicheres Handling auch unter Last
- leicht anpassbare Sitzposition
- intuitives Lenkverhalten bei Geschwindigkeit
- hochwertige Schaltung und Bremsen
Flops
- zu großer Lenkeinschlag für enge Kurven
- Lenker verdreht sich leicht
- Holzbox und Gestänge klappern
- unterdimensionierter 9-mm-Schnellspanner am Hinterrad
Mehr Informationen zum KETTLER CARGOLINE FS 800 E-Cargo-Bike gibt es unter kettler-alu-rad.de
Ihr wollt wissen, welche interessanten Lastenräder es noch auf dem Markt gibt? Hier findet ihr unseren Lastenrad-Vergleichstest mit vielen Bikes und allem, was ihr über Cargo-Bikes wissen müsst. Pflichtlektüre für alle, die sich überlegen, ein Lastenrad zu kaufen!
Worauf ihr beim Lastenradfahren achten müsst und wie ihr versteckte Probleme souverän meistert, könnt ihr hier in unserem Artikel über Cargo-Bikes im Alltag nachlesen.
Words: Moritz Geisreiter Photos: Peter Walker