Menschen, für die ein guter Espresso Lebenselixier ist, brauchen Lösungen für unterwegs. Auf Outdoor-Reisen wollen sie die Ansprüche an ihr Lieblingsgetränk nicht herunterschrauben, nur weil sie an der frischen Luft sind. Mit der tragbaren Espressomaschine Picopresso will Wacaco sie mit bestem, handgepumptem Espresso glücklich machen. Klappt das?
Für Hobby-Baristas, die bei der Kaffeezubereitung nicht auf Outdoor-Flair verzichten wollen oder die schlicht nur mit dem Rucksack unterwegs sind, haben sich in den letzten zehn Jahren einige spannende und kompakte Lösungen aufgetan: AeroPress, Handpresso, Flair Espresso – die Liste der Hersteller von manuellen Espressomaschinen erweitert sich stetig. Für unseren Test haben wir uns die Picopresso portable espresso machine von Wacaco aus Hongkong rausgepickt, ein Nachfolgemodell der Minipresso, die 2014 als erste handbetriebene, tragbare Espressomaschine den Markt der portablen Kaffeezubereiter revolutionierte. Die Picopresso, erhältlich für 125 €, ist kompakter und gleichzeitig technologisch ein Stück näher an professionelle Espressomaschinen gerückt. Der manuelle Pumpmechanismus baut laut Hersteller bis zu 18 Bar Druck auf, wodurch eine dichte Crema entstehen soll. Statt eines fest verbauten Kunststoff-Siebträgers hat Wacaco einen offenen Filterkorb aus Edelstahl implementiert. Ein Fassungsvermögen von 18 Gramm Kaffeemehl – mehr als doppelt so viel wie beim Vorgängermodell – verspricht einen Espresso mit höherer Intensität und besserer Konsistenz.
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Wacaco vermarktet die Picopresso als hochwertiges Gerät, das sich an erfahrene Baristas und Kaffeeliebhaber richtet. Betont wird dabei die manuelle Kontrolle des Brühprozesses, der den Coffee-Fans ermöglicht, den Espresso nach eigenen Wünschen anzupassen. Das Versprechen: Ein „authentischer Espresso in Café-Qualität, der es mit jeder teuren High-End-Maschine aufnehmen kann.” Das nennen wir selbstbewusst. Kann die Picopresso diese kühne Behauptung im Test bestätigen?
Was kann die tragbare Picopresso Espressomaschine?
Unterwegs für echten, per Überdruck erzeugten Espresso sorgen! Das ist schon mal ein Ausrufezeichen wert. Und wie viel Espresso bekommt man bei der Picopresso? Mit 18 g Fassungsvermögen und 80 ml Wasserkapazität könnte sie theoretisch sogar einen Americano herstellen. Zum Verständnis: Im Allgemeinen geht man davon aus, dass ein Siebträger für einen doppelten Shot 18–19 g Kaffeemehl enthält. Das „klassische“ Extraktionsverhältnis ist 1:2, d. h., auf 18 g Mehl kommen 36 ml Flüssigkeit. Die Picopresso kann also je nach Wassermenge alles von Doppio bis zum vierfach verlängerten Americano erzeugen.
Dass die Picopresso fürs Tourengepäck geeignet ist, zeigt sie schon allein durch ihre kompakten Maße von 71 x 78 x 106 mm. Und mit 350 g ist sie recht leicht und dennoch robust – es gibt keine herausstehenden, empfindlichen Teile und es ist wertiges Material verbaut: Im Vergleich zum Vorgänger, der Minipresso, setzt Wacaco auf deutlich weniger Kunststoff. Der Tamper – das handliche Gerät zum Verdichten des Kaffeepulvers – ist aus Metall und bringt ausreichend Gewicht mit sich, damit das Kaffeemehl gleichmäßig angedrückt werden kann. Ebenso aus Metall ist der Siebträger mit Edelstahlfilterkorb. Der insgesamt hochwertige Eindruck wird noch verstärkt durch die Lösung, die sich Wacaco für Lagerung und Transport ausgedacht hat: Wenn man die Einzelteile zusammenbaut, fügt sich eins nahtlos ins andere – selbst der Tamper sinkt mit einem schönen „Klickgeräusch“ in den Wassertank.
Was wir richtig cool finden: Outdoor-affinen Hobby-Baristas bietet die Picopresso die Möglichkeit, unterwegs mit Mahlgrad, Bohnen- und Wassermenge und Extraktionszeit genauso zu experimentieren wie bei einer Siebträgermaschine. Denn im Prinzip sind dieselben Schritte nötig: mahlen, Gerät vorheizen, Kaffee mit dem niedlichen, mitgelieferten Minitool im Sieb verteilen, tampern, extrahieren. Das Vorheizen gelingt hier, indem man extern auf dem Gaskocher gekochtes Wasser zunächst ohne Kaffeemehl über das Gerät in die Tasse pumpt. Damit ist auch die Tasse gleich schon aufgewärmt. Die Extraktion im letzten Schritt geschieht dann aber durch eigene Muskelkraft. Wir sind wirklich gespannt, ob wir das gleiche großartige Extraktionsergebnis erhalten wie bei unserem Stammcafé um die Ecke. Während der Zubereitung wird dann klar: Die Picopresso ist etwas für Personen, für die die Entspannung bereits vor dem ersten Schluck beginnt, weil sie schon den Zubereitungsprozess selbst genießen. Die vielen kleinen Schritte und die nötige Einhaltung ihrer Abfolge verleihen dem gesamten Prozess also – je nach Anwendertyp – entweder einen zeremoniellen oder leicht überfordernden Charakter.
Das Ergebnis kann sich dann aber sehen lassen – zumindest optisch: Nach zahlreichen, nicht ganz mühelosen Pumpstößen kommt das Highlight der Kaffeezeremonie: Der Moment, wenn der Espresso dickflüssig aus den kleinen Poren des Siebträgers langsam in die Tasse tropft. Ein ästhetisches, die Hobby-Barista-Seele befriedigendes Erlebnis.
Lediglich unschöne Spritzer am Tassenrand stören die Optik. Klar, wir sind in der Natur. Aber sind auch Baristas, zumindest vor dem geistigen Auge… Die Spritzer können theoretisch vermieden werden, wenn man den Siebträger mit dem optionalen trichterähnlichen Silikon-Siebträgerkopf verschließt, der den Fluss des extrahierten Kaffees während des Brühvorgangs kanalisiert. Eigentlich gut. Das Problem: Er springt beim Pumpen bei fast jedem Versuch aus dem Siebträger raus und vergrößert die Sauerei nur – echt nervig.
Weiterer Kritikpunkt: Die Dichtung des Wassertankdeckels liegt nicht ganz gleichmäßig auf bzw. verzieht sich beim festen Zuschrauben, sodass eingefülltes heißes Wasser beim Zudrehen und Pumpen entweichen kann. Hier muss man achtgeben, um nicht die Finger zu verbrennen! Findige Blogger haben hier festgestellt, dass dies dann geschieht, wenn die Bohnenmenge 17 Gramm überschreitet. Denn bei einer Überfüllung drückt der zusätzliche Kaffee das Siebträgergehäuse leicht nach oben, sodass sich der Deckel nicht richtig schließen kann. Wacaco empfiehlt jedoch eine Bohnenmenge bis zu 18 g. Wir sind jetzt gewappnet und würden die 17 g eher nicht überschreiten.
Und wie ist der Espresso nun geschmacklich? Kann er mithalten mit den Brühprodukten der Edelstahl-Profi-Siebträgermaschinen? Die gute Nachricht für Espresso-Nerds: Wenn man ein wenig tüftelt, den richtigen Mahlgrad und das Tamping selbst einstellt und perfektioniert, kann man tolle Ergebnisse erzielen. Die Handarbeit belohnt mit einem Espresso-Ergebnis auf recht hohem Niveau – vor allem in Anbetracht von Größe, Gewicht und möglichen Einsatzorten der Maschine. Die Textur: dicht und cremig, der Espresso zieht schöne ölige Ränder am Tassenrand. Und wir waren uns schnell einig: Reich und voll im Geschmack hat es uns der Espresso angetan – die Picopresso bringt die feinen Nuancen des eingesetzten Kaffees perfekt hervor.
Leider müssen wir euch nun doch noch aus den Gaumen-Träumen holen: Der Espresso fließt – zumindest wenn er draußen an der frischen Luft nach Anleitung zubereitet wird – nur noch lauwarm aus der Maschine, nicht ansatzweise heiß. Dies liegt daran, dass das Wasser für die Zubereitung zwar gekocht wird, während des Vorbereitungs- und Brühvorgangs jedoch an Temperatur verliert. Es reicht nicht aus, nur den Wassertank vorzuheizen. Für siebträgermaschinenwarmen Espresso müsste man auch noch das Sieb erwärmen und die Tasse mit in den Topf mit erhitztem Wasser stellen. Eine umständliche Prozedur, wenn man draußen mit seinem Gaskocher und Wassertopf hantiert, und eine Sisyphusarbeit bei kühleren Temperaturen, die für eine noch schnellere Abkühlung sorgen. Klar, die Espressoprofis werden einwenden, dass man das Getränk ohnehin nicht heiß trinken und die Tasse nicht vorheizen soll, weil sonst die kostbaren Aromen beeinträchtigt werden. Weil viele Fans das braune Elixiers dennoch gern etwas wärmer genießen, bekommt die Picopresso hier von uns einen deutlichen Punktabzug. Mit diesem Kritikpunkt steht die Maschine aber nicht allein da, das Problem ist bei manuellen Espressomaschinen generell bekannt, wie z. B. bei der Flair Espresso oder der STARESSO.
Wer sich an der Temperatur stört, kann den Espresso eigentlich nur mit heißem Wasser zu einem Americano verlängern. Oder stattdessen Wacacos Nanopresso ausprobieren, von der es weniger Berichte über abkühlenden Espresso gibt und die nur die Hälfte kostet.
Braucht man die Picopresso Espressomaschine?
Die Picopresso liefert leckeren Espresso. Beim Temperaturmanagement kann Wacaco aber nicht mit den großen Siebträgermaschinen mithalten und somit hält das Unternehmen aus Hongkong sein großes Qualitätsversprechen nur zum Teil.
Wer zuhause keine Siebträgermaschine hat, sich dort aber gern einmal vorsichtig der Welt des Bohnenwiegens und Tamperns annähern möchte, kann hier aber für 125 € durchaus seine ersten Erfahrungen sammeln. Die heißesten Ergebnisse liefert die Picopresso ohnehin bei Raumtemperatur und an Orten, wo Siebträger und Tasse vor dem Pumpen ein warmes Wasserbad nehmen können.
Für Menschen, die bei Outdooraktivitäten das Espressokännchen schätzen, das einfach handzuhaben ist und garantiert heiße Erzeugnisse liefert, ist die Picopresso nichts. Die gesamte kleinteilige Prozedur durchzuführen, erfordert schon großen Enthusiasmus und – wenn man das ganze ein zweites und drittes Mal für weitere Portionen durchführt – Durchhaltevermögen.
Würden wir die Picopresso Espressomaschine kaufen?
„Not hot“ kann dieses Mal ganz wörtlich genommen werden. Die Picopresso von Wacaco leidet unter einem Temperaturproblem. Kalten Kaffee genießen wir vielleicht als Iced Latte in der Stadt oder am Strand, nicht aber lauwarm beim Camping oder auf der Bergtour. Daher würden wir die Picopresso nicht kaufen. Wer keine Lust darauf hat, Tassen, Wassertank und Siebträger vor dem Pumpen erst mal zu erhitzen oder nicht gern Americano trinkt, ist leider raus aus dem Picopresso-Game.
Tops
- Geschmacklich super Espresso für unterwegs
- Ästhetik des Extraktionsvorgangs
- Barista-Feeling
Flops
- Espresso kommt nicht ausreichend heiß aus der Maschine
- Siebträgerkopf aus Silikon unbrauchbar
Mehr Infos unter wacaco.com
Words: Felicia Nastal Photos: Julian Schwede