Nach 5 Jahren Ungewissheit hat die EU-Kommission jetzt entschieden, dass auch E-Bikes mit seriellem Hybridsystem, das heißt ohne Ketten- oder Riemenantrieb, als Fahrräder einzustufen sind. Damit haben der jahrelange Seiltanz und die regulatorische Verwirrung über diese Arten von E-Bikes ein Ende. Was heißt das für uns?

Serielle Hybridsysteme: Begriffsklärung und Definition

Bei den seriellen Hybrid-Fahrrädern wird auf eine mechanische Verbindung, egal ob Kette, Kardan- oder Riemenantrieb, zwischen Generator und Motor verzichtet. Stattdessen läuft ein Kabel vom Generator im Tretlagerbereich zum Antrieb: Die vom Fahrer erzeugte Antriebsleistung wird direkt an der Tretlagerwelle in elektrische Leistung umgewandelt und anschließend durch den kompakten Hinterradantrieb, ggf. mit Akku-Unterstützung, in mechanische Leistung umgesetzt. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Kette, das Kettenblatt und die Kassette sowie deren Wartung entfallen.

Bereits 2016 wurde vom Institut für Automatisierung und Informatik GmbH das seriell-hybride Antriebssystem beim e:bikefestival Kitzbüheler Alpen vorgestellt.
Die Schnittzeichnung zeigt ein E-Mountainbike mit einem seriellen Hybrid, einer sogenannten digitalen Kette. Der Pedalgenerator ist grün eingezeichnet. Was in der Zeichnung fehlt, ist der Hinterradnabenmotor.
Weniger Verschleißteile, weniger Wartung; Gerade für kommerziell genutzte Lastenräder kann der serielle Hybridantrieb von Vorteil sein.

 

Das Konzept eines kettenlosen Fahrrads ist also eine offensichtliche Weiterentwicklung des konventionellen Fahrrads, aber die europäische Bürokratie hatte bisher Probleme damit, den psychologischen Sprung zu dem neuen Hybridkonzept zu schaffen. Einzig in den Niederlanden wurden die Antriebssysteme vorzeitig zugelassen. Viele Hersteller, darunter auch Podbike mit dem Modell Frikar, konnten ihre Ideen zur Zukunft der Mobilität, vor allem in Städten, unter diesen unklaren Regularien nicht weiterentwickeln.

Was wurde jetzt auf EU-Ebene neu geregelt?

Die zuständige EU-Kommission hat nach 5-jähriger Lobbyarbeit erklärt, dass serielle Hybrid-Fahrräder jetzt doch als EPAC, also als Fahrräder einzustufen sind. EPAC steht für Electrically Power Assisted Cycle, sprich, für ein Fahrrad, das mit elektrischer Kraft bis 25 km/h unterstützt wird. Serienhybrid-Fahrräder, sogenannte SH-Antriebssysteme, unterscheiden sich von „normalen“ Fahrrädern lediglich dadurch, dass sie keine Kette (Riemen oder Kardan) haben. Und genau diese fehlende Kette hat bisher die Frage aufgeworfen, ob es sich dann noch um ein Fahrrad handelt. 2018 wurden diese E-Bikes noch als Fahrzeug eingestuft und einige Fahrradhändler bekamen wegen des Verkaufs Abmahnungen vom Kraftfahrt-Bundesamt sowie Bußgeld-Androhungen in Höhe von 5.000 €.

Mobilität weitergedacht – das Podbike Frikar mit seriellem Hybridantrieb bietet eine elektrische Unterstützung beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h und ist jetzt europaweit als Fahrrad eingestuft.

Am 17. Februar 2022 trafen sich die europäischen Mitglieder der LEVA (Light Electric Vehicle Association) nach 5 Jahren erneut bei der Europäischen Kommission. Die technischen Aspekte und das enorme Marktpotenzial dieses neuen Typs von Fahrzeugen wurden ausführlich erläutert – mit dem Ergebnis, dass die EU-Kommission diesmal zugehört hat. Folgende Kriterien müssen Serienhybrid-Fahrräder jetzt erfüllen, um als E-Bike eingestuft zu werden:

  • Der elektrische Hilfsmotor darf nur mit einer maximalen Nenndauerleistung von 250 W arbeiten.
  • Die Hilfsfunktion des Motors bedeutet, dass das Fahrzeug nicht allein durch den Motor angetrieben werden kann: Es muss in die Pedale getreten werden (außer bei der Schiebehilfe bis zu 6 km/h). Wenn der Radfahrer aufhört zu treten, wird der Motor abgeschaltet.
  • Ansonsten wird die Unterstützung durch den Motor schrittweise reduziert und schließlich vor Erreichen von 25 km/h abgeschaltet.
  • Eine Kette zur Erzeugung der kinetischen Energie ist nicht mehr erforderlich, um als E-Bike eingestuft zu werden. Damit wird Technologieneutralität gegeben.

Das anhaltende Interesse an diesen neuen Systemen war auch schon vor der aktuellen Entscheidung präsent: Auf der Eurobike 2021 stellte die Firma Schaeffler ein kettenloses E-Antriebssystem „Free Drive“ für Fahrräder vor. Damit sind völlig neue Fahrradarchitekturen und Pedalkonfigurationen möglich, bei gleichzeitig geringerem Bedarf an Komponenten. Das robuste und wartungsarme System spart zudem Betriebs- und Wartungskosten, da Verschleißteile und Kettenperipherie entfallen. Außerdem können serielle Antriebssysteme mit einem Rückwärtsgang gebaut werden, was viele neue und spannende Anwendungsbereiche möglich macht.

Auf der Eurobike 2021 stellte der Automobilzulieferer Schaeffler
seinen kettenlosen E-Antrieb „Free Drive“ für Fahrräder vor.

Auch Ernst Brust, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Mikromobilität, befürwortet die aktuelle Entscheidung der EU-Kommission: „Zukunft kann man nicht verhindern.“ Außerdem bringt das SH-System neben wesentlich geringeren Verschleiß- und Wartungskosten eine Reihe weiterer Vorteile. Zum einen bietet der Antrieb gravierende Vorteile im Design, da Funktionen am E-Bike ganz neu gedacht und umgesetzt werden können. Ketten können nicht mehr reißen, die Kettenlinie muss nicht mehr beachtet werden und Bauräume lassen sich freier gestalten. Die Gangschaltung kann störungsfrei über Software erfolgen oder sie ist gleich automatisiert bei einer eingestellten Wohlfühlkadenz. Die Kettensteifigkeit wird ebenfalls über die Software eingestellt, sodass bei guten Systemen das gewohnte Fahrgefühl erreicht wird. Wie bei einem „normalen“ Pedelec kann man durch stärkeres Treten ohne zusätzliche Unterstützung auch schneller als 25 km/h fahren.

Auf unsere Frage, ob man bei einem kettenlosen Antrieb auch mit leerem Akku fahren könnte, meinte Ernst Brust, dass das System frühzeitig die Unterstützung reduziert und einstellt, sodass nur noch das Regelsystem funktioniert. Je nach der herstellerbedingten Abstimmung des Systems kann man damit noch gewisse Strecken zurücklegen oder sogar unendlich weit fahren, wenn der Fahrer nicht nur die Wirkungsgrade ausgleicht, sondern auch noch Regelstrom zur Verfügung stellt. Ist der Akku aber defekt oder komplett leer, kann das E-Bike nicht mehr aus eigener Kraft gefahren werden.

Ernst Brust ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Mikromobilität und Gründer von velotech.de.

Was bedeutet das für uns als Endkonsumenten?

Die Erklärung der EU-Kommission beendet ein fast 5-jähriges Problem, das Hersteller bei der Investition in die Entwicklung von Hybrid-Fahrrädern verunsichert und zurückgeworfen hat. Natürlich ist diese Technologie bisher ein Nischenprodukt, doch auch Hersteller wie der Automobilzulieferer Schaeffler investieren zunehmend in diese Technologie. Inwieweit das auch anderen alternativen Mobilitätskonzepten, wie zum Beispiel dem zweispurigen Canyon Future Mobility Concept, zugutekommt, wird sich in der Zukunft zeigen.

Die Konzeptstudie „Future Mobility Concept“ von Canyon ist ein Light Electric Vehicle, bei dem man sich ein serielles Hybridsystem vorstellen könnte.

Die EU-Kommission hat die 5-jährige Ungewissheit beendet und auch E-Bikes ohne Kettenantrieb als Fahrräder eingestuft. Ein riesiger Vorteil ist dabei der deutlich verringerte Wartungsaufwand. Außerdem ist damit auch der Weg frei, mobile E-Bike-Konzepte speziell für Cargo- und Lastenräder, aber auch innovative mehrspurige Konzepte umzusetzen. Was sich letztendlich am Markt durchsetzen wird und welche Konzepte die Städte von morgen prägen werden, wissen wir noch nicht. Nur, dass es spannend wird.

Words: Susanne Feddersen/Manne Schmitt Photos: Schaeffler, Podbike, Canyon, Manne Schmitt