An der Spitze wird es dünn. Oder avantgardistisch, komfortabel, luxuriös und edel? Wir haben die elektrische Speerspitze von Mercedes über zwei Wochen in den Dolomiten intensiv getestet und sagen euch, ob der rund 170.000 € teure EQS SUV mit Massagesitzen, modernstem Infotainment und Beduftung schnödes Autofahren zum echten Reiseerlebnis macht, was er kann und was nicht!

Mercedes-Benz EQS 580 4MATIC SUV | 400 kW (544 PS) | 118-kWh-Akku | 656–757 km | 5-Türer | ab 110.800,90 € | Testwagenpreis ca. 170.000 € | Hersteller-Website

Superlative sind im Luxus-Segment gerade gut genug, um zu rechtfertigen, was oftmals nicht zu rechtfertigen ist: der exorbitante Preis. So bezeichnet Mercedes-Benz sein elektrisches SUV-Schlachtschiff gewohnt zurückhaltend als avantgardistisch-luxuriös. Weniger darf es bei einem „Einstiegspreis“ von gut 110.000 € aber auch keinesfalls sein. Und es geht natürlich noch exklusiver: Unser Testwagen liegt bei rund 170.000 € und stellt damit noch lange nicht das Ende der Fahnenstange dar – Wilhelm Maybach lässt grüßen und gibt sich erst mit mindestens 200.000 € zufrieden. Ist der Mercedes EQS SUV also nur was für Neu- und Superreiche, geltungsbedürftige Zahnärzte und erfolgreiche Unternehmerinnen? Ja, keine Frage. Aber mal Hand aufs Herz: Wer würde nicht auch mal gerne fürstlich reisen in einer sündteuren, völlig unvernünftigen Luxuskarosse mit Annehmlichkeiten, die es nicht mal in der First Class der Premium-Airlines gibt? Eben! Und genau deshalb haben wir uns 2 Wochen der mobilen Ausschweifung gegönnt und das große E-SUV der Schwaben in die spätsommerlichen Dolomiten entführt. Machen modernstes Infotainment, Massagesitze und Beduftung schnöde Autoreisen zu einem echten Erlebnis oder ist man am Ende doch einfach nur froh, angekommen zu sein? Wir haben es herausgefunden!

Fürstlich reisen und entspannt ankommen – verspricht der Mercedes EQS SUV.
Da bleibt mehr Zeit für die schönen Momente im Leben.

Auf derselben Plattform aufbauend wie die Mercedes EQS Limousine, aber satte 20 Zentimeter höher, ist auch der Mercedes EQS SUV ein Technologieträger im Daimler-Konzern, wenn es um Elektromobilität und Konnektivität geht. So lassen sich beim Luxus-SUV wie bei der „normalen“ S-Klasse bestimmte Ausstattungsmerkmale und Funktionen per Over-the-Air-Update freischalten. Dazu zählen bisher der Anhängerrangierassistent und das MBUX-Multimediasystem mit Augmented Reality-Ansicht. Die Aufpreisliste ist natürlich trotzdem ellenlang, das versteht sich von selbst – ist aber sicher schon Teil des Luxus-Erlebnisses: teure Kreuzchen machen, einfach weil’s Spaß macht! Wobei so ein Häkchen beim EQS SUV auch schnell mal einen fünfstelligen Betrag auf dem Konto mit einem fetten Minuszeichen versehen kann. Who cares?

Auch unser Testwagen macht keinen Hehl daraus, dass hier ein sehr teures Premium-Fahrzeug den Weg in unsere Redaktion gefunden hat. Rund 170.000 € spuckt der tagesaktuelle Konfigurator aus – plus minus ein paar Tausender. Doch der Preis scheint hier weniger wichtig zu sein als der „Alltagsnutzen“. Denn wie Mercedes ziemlich am Anfang der Pressemitteilung betont, passen ganze vier Golftaschen in den Kofferraum. Perfekt für die exklusive Fahrgemeinschaft auf dem Weg zum ersten Abschlag des Tages.

Was ist nun also die zentrale Frage beim Mercedes EQS SUV? Ob er sein Geld wert ist? Das wird sicher jeder mit Ja beantworten, der ihn bestellt. Uns interessiert viel mehr: Macht ein Luxusauto mit modernsten Connectivity-Features das Reisen wirklich angenehmer?

Preise und Ausstattung des Mercedes EQS SUV: Wer nach den Sternen greifen will …

Bei vielen aktuellen E-Autos wie dem Volvo EX30 oder dem BYD Seal ist die Länge der Aufpreislisten sehr überschaubar, bei Tesla kann man nahezu nichts konfigurieren. Ganz anders der Mercedes EQS SUV: Trotz seines Grundpreises von gut 110.000 € lesen sich die aufpreispflichtigen Optionen wie ein Thriller von Frank Schätzing: genauso dick und stellenweise genauso undurchsichtig. Und für viele EQS-Interessenten sicher auch genauso spannend. Willkommen in der Welt des ungezügelten Luxus, wo man sprichwörtlich nach den Sternen greifen kann.

Wir haben uns die Dolomiten-Region zum Testen ausgesucht. Standesgemäß, oder?

Selbst unser Testwagen, der für rund 170.000 € schon fast die ungebührliche Bezeichnung „volle Hütte“ verdient, hat preislich noch reichlich Luft nach oben. Stichwort: Mercedes-MAYBACH EQS 680 SUV, der ab gut 200.000 € den Weg zum Golfplatz und Privatflughafen weist. Die Basisversion mit Heckantrieb wird es wohl in den seltensten Fällen werden. Vermutlich werden viele eine ähnliche Ausstattung wie in unserem Testfahrzeug wählen. Der EQS 580 4MATIC SUV kommt mit der Allradtechnik 4MATIC und einem 400 kW (544 PS) starken Doppelmotor-Antrieb, der den Prestige-Sprint in 4,7 s erledigen soll. Schneller geht’s nur noch – genau, richtig geraten – in der MAYBACH-Variante: 4,4 s dank 484 kW (658 PS). Für den Gegenwert einer Eigentumswohnung gibt es dann aber wenigstens temperierte Cupholder auf den Rücksitzen. Weitere kleine Annehmlichkeiten wie einen Sektkühler oder ein Humidor haben wir zwar nicht direkt vermisst. Gesehen hätten wir solche Details aber schon gerne.

Info- und Entertainment wird beim Mercedes EQS SUV sehr groß geschrieben.
Das MBUX-System kann auf Wunsch auch Augmented Reality im Head-Up-Display und blendet damit Abbiege-Hinweise direkt „auf der Fahrbahn“ ein.

Zurück zum Testwagen: Die Ausstattungsdetails ausführlich zu benennen, würde alleine für einen Artikel ausreichen, daher nur das Wichtigste in aller Kürze. Mit an Bord sind das hochwertigste Multimediasystem, das Mercedes derzeit zu bieten, das MBUX mit Augmented Reality-Feature als Teil des mit 16.603 € absurd teuren Ausstattungspakets AMG Line Business Class, das noch weitere Annehmlichkeiten wie die vorderen Multikontursitze mit Massagefunktion, eine automatische Lenkradheizung und elektrische Fond-Sitze bereithält. Ebenfalls den Weg in „unseren“ Edel-SUV haben ein OLED-Beifahrerdisplay, ein Fingerabdruck-Scanner, ein Burmester 3D-Surround-Soundsystem mit Dolby Atmos, 21 Zoll große AMG-Leichtmetallräder und ein TV-Tuner gefunden … um nur die Highlights zu nennen. Die teure – zur Testumgebung passende – Farbe MANUFAKTUR Alpingrau hält hingegen nicht, was der Aufpreis von 4.641 € verspricht. Sie wirkt matt, hat kaum Tiefe und ist wenig kontrastreich. Das Geld lässt sich sinnvoller investieren – zum Beispiel in ein paar neue Golfschläger. Das AMG Line Exterieur- und das Night-Paket sorgen für ein wenig moderne Sportlichkeit und verbannen teilweise das altbackene Chrom.

Ich seh den Sternenhimmel, Sternenhimmel – Der Mercedes EQS SUV von außen und innen

Der EQS SUV lässt schon auf den ersten Blick keinen Zweifel daran: Er ist der Star im SUV-Portfolio der Schwaben. Trotz des teils etwas rundgelutschten Designs steht das E-SUV da wie Ronaldo nach dem Zaubertor: dynamisch, selbstsicher, fast schon überheblich. Konkurrenz? Nicht in Sicht. Vllt. ein Tesla Model X, aber schon veraltet. Oder ein BMW iX, aber zu klein, zu billig, zu „jedermann“. Das große E-SUV mit dem Stern überzeugt mit einem total modernen Auftritt. Ohne echte Ecken und Kanten zwar, als charakterlos kann man den EQS SUV aber sicher nicht bezeichnen. Eher als sleek mit der aktuellen Formensprache von Mercedes, die sicher nicht jeder mag. Aber wer weiß, vielleicht schwingt bei so mancher Kritik auch einfach eine große Portion Neid mit. Und der Windwiderstand will natürlich auch berücksichtigt werden. Unterm Strich ist die Außenansicht stimmig und ganz Luxusliner-like. Ein Auto, mit dem man garantiert auffällt – auch auf dem Parkplatz vorm Golf-Resort.

Viel Rundes, wenig Eckiges – charakterlos ist der EQS SUV dennoch keinesfalls.
Die Farbe MANUFAKTUR Alpingrau hat uns trotz des Alpenpanoramas nicht gecatcht.

Die optionalen Trittbretter müssen einfach sein. Sie sehen martialisch aus, sorgen für blaue Flecke am Schienbein, dreckige Hosenbeine. Zum Draufstehen sind sie wiederum zu schmal geraten. Aber sie sind voll Kita-tauglich und das Kreuz in der Ausstattungsliste quasi erste Bürgerpflicht. Aber im Ernst: Es gibt nützlichere und edlere Details am EQS SUV. Die ausfahrbaren Griffe zum Beispiel versprühen Luxus und Coolness gleichermaßen. Und – kaum zu sehen und dennoch so S-Klasse – die Service-Klappe unterhalb der A-Säule auf der Fahrerseite zum Nachfüllen des Wischwassers. Mehr macht man nicht selbst, wenn man dieses Auto fährt. Daher gibt es konsequenterweise auch nur für die Werkstatt Zugang zur Motorhaube. Schmutzige Finger? Nicht im Reich der Sterne!

Mehr noch als die Außenansicht offenbart der Innenraum, wie das viel bemühte Schlagwort Premium standesgemäß zu interpretieren ist. Es fühlt sich an wie der Eintritt in eine neue Galaxie. Die meisten werden wohl noch nie in einem derart teuren Auto gesessen haben. Uns geht es da nicht anders. Der Innenraum versprüht Luxus allenthalben mit reichlich Ambientelicht, Panoramadach und Wunschduft. Ja, richtig gehört. Im Handschuhfach versteckt sich der entsprechende Flakon – wobei es eher ein schnödes Fläschchen ist. Aber Flakon klingt halt mehr nach Luxusartikel. Luxus sind auch die extrem bequemen, absolut hochwertig verarbeiteten Multikontursitze mit weichen Lederkissen auf den Kopfstützen. Da fühlt man sich wirklich First Class – also ganz anders als in der 1. Klasse des ICE, dem angeblich schnellsten Klimaschützer Deutschlands. Da vermittelt das 1.-Klasse-Abteil im Vergleich zum Innenraum des EQS SUV eher die Anmutung einer Abenteuerreise im Frachtraum. Überhaupt die Sitze: Beim ersten Einsteigen kann man seine Körpergröße eingeben, und der Sitz inklusive Lenkrad nimmt automatisch eine ergonomische Position ein, die sich natürlich noch an die eigenen Vorlieben anpassen lässt. Dennoch: So fühlt sich Luxus an. Das gilt auch für die automatisch arbeitende Lenkradheizung. So hat man schon beim ersten Abschlag warme Finger. Überhaupt glänzt der EQS mit toller Verarbeitung, hochwertiger Materialauswahl, da gibt es kein einfaches Plastik, auch nicht unterhalb der Sichtlinie. Streiten lässt sich über Carbon-Imitate und reichlich Klavierlack. Aber das passende Microfasertuch gegen Fingerabdrücke liefert Mercedes zumindest im Pressefahrzeug direkt mit.

Die Multikontursitze mit Massagefunktion sind eines der Highlights im Mercedes EQS SUV.
Das Wellness-Angebot ist größer als in so manchem Massage-Salon.
Licht im Dunkeln? Sogar der Duft-Flakon im Handschuhfach ist beleuchtet.

Der Unterschied zur EQS Limousine? Die zweite Reihe. Hier geht es zwar auch luxuriös, komfortabel und elektrisch zu. Massagesitze, Lordosenstütze und Ventilation gibt es aber nur vorne – ganz im Gegensatz zur Limo. Die ist und bleibt der wahre Star im Mercedes-Lineup. Dass die hinteren Sitze elektrisch umklappen, ist das Mindeste. Wie elegant das allerdings vonstatten geht, schon wieder sehenswert.

Ungeachtet des unbestrittenen Luxus und Komforts muss sich Mercedes aber auch die Frage gefallen lassen: Braucht man das alles? Und vor allem: Will der Kunde das? Denn viele Optionen und Individualiserungsmöglichkeiten erfordern auch Einstellarbeit und Einarbeitungszeit. Wer auf skandinavischen Minimalismus und leichte Unterkühltheit steht, ist im Mercedes Luxusliner vielleicht nicht sehr gut aufgehoben. Technik-Fetischisten hingegen werden ihn lieben.

Info- und Assistenzsysteme im Mercedes EQS SUV: Unendliche Weiten …

Zugegeben, wie in einem Raumschiff sieht es im Innern des Mercedes EQS SUV nicht aus, auch wenn auf dem Beifahrer-Display im Standby stets die Mercedes-Sternen-Galaxie funkelt. Und dennoch wird auch hier die unendliche Weite Wirklichkeit. Nicht die des Raums, sondern vielmehr die der Ausstattungsliste, was Infotainment und Assistenzsysteme angeht. Es gibt quasi nichts, was das Edel-SUV nicht hat. Bildschirme an jedem Platz, sogar der Mittelsitz hinten hält ein Tablet bereit. Das umgebrandete Samsung-Tablet passt aber in Sachen Qualität nicht zum hohen Anspruch des Luxusliners – ebenso wenig wie die Halterung und die knarzenden, hakeligen Becherhalter im Fond. Die vorderen sind hingegen haptisch und funktionell perfekt.

Das Tablet in der hinteren Mittelarmlehne wird dem hohen Qualitätsanspruch nicht gerecht. Ebenso wenig wie der knarzende Becherhalter.

Von A bis A reicht die Displayfläche im Armaturenbrett, also von der linken bis zur rechten A-Säule. So kommt auch der Beifahrer in den Genuss eines OLED-Bildschirms, auf der sogar während der Fahrt gespielt oder ein Film geschaut werden kann. Und wenn der Fahrer mit reingucken will? Dann erkennen das zwei unsichtbare Augen im Tacho und deaktivieren das Sozius-Display ad hoc. Spooky: Den Blick in den rechten Außenspiegel weiß das System vom „Spicken“ zuverlässig zu unterscheiden. Auch die Fondpassagiere finden an den Rückenlehnen der Vordersitze Bildschirme vor. Sogar auf dem Mittelsitz gibt es ein – leider etwas billig anmutendes – Tablet. Spiele und Filme werden dabei von einem waschechten Hifi-Star klanglich untermalt: Das Burmester 3D-Surround-Soundsystem brilliert nicht nur mit einem tollen Klang, einer breiten Stereobühne und klarer Kanal-Separierung. Es unterstützt sogar Dolby Atmos: Hier sind die Toninformationen nicht an einen bestimmten Kanal/Lautsprecher gebunden. Vielmehr arbeitet Dolby Atmos mit im Raum frei positionierbaren Klangobjekten, die dann mittels der einzelnen Kanäle erzeugt werden. So lässt sich sogar echtes Kino-Feeling im Auto erleben: Vorhang auf für die lange Star-Wars-Nacht!

Keine Wünsche bleiben beim Thema Fahrassistenten offen. Und das gilt nicht nur für die Mannigfaltigkeit der Systeme, sondern insbesondere auch für deren Fein- und Besonderheiten, die den Mercedes EQS SUV zum leuchtenden Stern am Luxusklasse-Himmel machen: Das beginnt bei der perfekten Erkennung von Verkehrszeichen auch an Schilderbrücken und mit Zeitbeschränkung samt fehlerloser Integration in den adaptiven Tempomaten. Dieser überholt nicht rechts, erkennt Rettungsgassen und reiht sich entsprechend ein. Er funktioniert in nahezu allen Fahrsituationen zusammen mit dem Spurhalteassistenten tadellos, nur enge Baustellen machen letzteren ein wenig nervös. Im Gegenzug lässt er sich sanft overrulen und übernimmt anschließend ganz smooth wieder. Das Head-Up-Display mit Augmented Reality-Darstellung setzt den Reigen modernsten Infotainments nahtlos fort, und dank eines Instrumenten-Displays und eines riesigen Zentralbildschirms hat der Fahrer immer alles im Blick. Die Informationsfülle kann aber auch durchaus verwirren und hat auch den ein oder anderen Tester mehr abgelenkt als unterstützt. Spätestens wenn das Auto mehr Aufmerksamkeit fordert als der Verkehr, verwandelt sich das Technologie-Feuerwerk in ein gefährliches Ablenkungsmanöver. So kam es dazu, dass wir auf Landstraßen einzelne Helferlein deaktiviert und selbst Hand ans Lenkrad gelegt haben.

Und wenn dann manche Funktionen auch noch nicht auf Anhieb klappen wollen, wie etwa das Öffnen des Schiebedachs per Wischgeste, und man stellenweise sogar auf das nicht gerade reaktive System warten muss, macht sich eher Frust denn Lust an der Bedienung breit. Schon beim Einsteigen irritiert der EQS SUV mit einem langsamen Systemstart. Einsteigen und losfahren, quasi plug and play, klappt so nicht. So ist die Navi-Karte nicht direkt ab Zündung startbereit und auch das Starten von Apps oder so manches Spiel nervt mit langen Ladezeiten. Hier ist einfach mehr Rechenleistung gefragt – und bei dem Anspruch auch zu erwarten. Dass Hobby-Innenarchitekten sich nach Lust und Laune austoben und mit unzähligen Farbkombinationen der Ambiente-Beleuchtung und Duftnoten spielen können, entschädigt da nicht wirklich.

Test und Fahreindruck mit dem Mercedes EQS SUV – kultivierter Luxus

Was nützen die luxuriöseste Ausstattung und der höchstmögliche Innenraumkomfort, wenn das Fahrverhalten nicht dazu passt? Soviel vorweg: Wenn es hier was zu kritisieren gibt, dann nur auf ganz hohem Niveau. Der EQS SUV fühlt sich auf der Straße wie im Stand nach dem Einsteigen an: luxuriös, komfortabel, überlegen. Mit seinen 400 kW ist das Luxus-SUV jederzeit souverän motorisiert, mutiert aber auch im Sport-Modus nie zum Dampfhammer. Ein ungehobelter Krawallbruder ist er schon gar nicht, und das würde auch nicht im Geringsten zum Premiumanspruch des Mercedes-Schlachtschiffs passen – auch wenn er im digitalen Motorsound „Roaring Pulse“ innen und/oder außen per Lautsprecher ganz nah an ein AMG-Grummeln kommt. Verzichtet man auf künstliche Fahrgeräusche, ist das Auffälligste gleich das Unauffälligste: die fehlenden Wind- und Abrollgeräusche, die man eigentlich sonst bei jedem Auto wahrnimmt, über alle Marken und Preisklassen hinweg. Erst im absoluten Luxussegment wird der Unterschied zu den Auto-Normalos so richtig deutlich. Die Passagiere im Mercedes EQS SUV bekommen nahezu nichts mit von dem, was während der Fahrt so alles passiert. Selbst jenseits der 200-km/h-Grenze sind so gut wie keine Windgeräusche wahrnehmbar. Die Abrollgeräusche der unbestritten großen Reifen ähneln im Zusammenspiel mit der hervorragenden Luftfederung obendrein eher einem Im-Raum-Schweben denn einem profanen Auf-der-Straße-Fahren. Dass das Fahrwerk sich je nach gewähltem Fahrmodus adaptiv anpasst, versteht sich von selbst. So ist es im Sport-Modus etwas straffer, doch auch auf Komfort getrimmt hält sich die Wankneigung in Grenzen. Beim Beschleunigen, Bremsen und vor allem bei schneller Kurvenfahrt macht sich das hohe Gewicht indes schon bemerkbar. Schnell angefahrene Autobahnabfahrten können da durchaus mal etwas kurz werden. Der gleichsam unauffällig wie zuverlässig agierende Allradantrieb entschärft die ein oder andere Situation, vor allem bei nassen und winterlichen Straßen.

Am meisten überrascht hat uns der Mercedes Luxusliner allerdings im engen Stadtverkehr – naturbedingt nicht gerade das bevorzugte Revier eines über 5 m langen Luxusklasse-SUVs. Doch dank der mitlenkenden Hinterachse verwöhnt der EQS mit einem fast schon kleinwagen-typischen Wendekreis, was sich im ersten Moment sehr ungewohnt anfühlt. Instinktiv holt man anfangs weiter aus, fährt enge Kurven vorsichtig an, bis man merkt: Hey, der geht ja um die Ecke wie Mamas Mini. Und wird es dann doch mal enger, etwa beim Einparken, leistet die 360°-Kamera praktische Unterstützung. Auf schneller gefahrenen Passstraßen hat scheinbar gerade die Hinterradlenkung bei Fond-Passagieren auch mal für Unwohlsein gesorgt – ob’s wirklich die Lenkung, der Fahrstil oder zu viel Sudoku Screen-Time war, sei mal dahingestellt.

Entspannt reisen klappt mit dem EQS SUV. Pause muss trotzdem mal sein!
Dank Hinterradlenkung und guter Kameras bereiten auch Engstellen kein Kopfzerbrechen.
Was beim Gabelstapler klappt, bringt auch beim Luxus-SUV-Vorteile: die Hinterradlenkung.

Apropos praktisch: Der gut zugängliche Kofferraum hat ein üppiges Fassungsvolumen von 645 l – oder eben 4 Golfbags. Die Rücksitze lassen sich elektrisch umklappen, sodass eine ebene Fläche entsteht. Auch das Zurückklappen erfolgt elektrisch. Irgendwie nicht anders zu erwarten, für Otto-Normal-Autofahrer aber ein Gimmick, das man gerne mehrfach ausprobiert. Einen Frunk gibt es nicht. Mercedes erlaubt seiner solventen Kundschaft ja nicht einmal das Öffnen der Motorhaube, was das Thema Frunk von vornherein ad absurdum führt. Eine Anhängerkupplung ist hingegen möglich, gebremst können bis 1800 kg gezogen werden – fürs eigene Pferd sehr knapp bemessen. Aber wer wird mit diesem Fahrzeug schon einen Hänger ziehen wollen? Trabrennbahn und Pferdewetten: klar! Reiterhof und Pferdemist? No way!

Pflichtaufgabe ohne große Strahlkraft – Laden und Reichweite im Mercedes EQS SUV

Luxus hin, Komfort her – auch ein sündteures Premium-E-SUV muss die Pflichtaufgaben eines E-Autos souverän lösen … Und steht dabei im Zweifel an derselben Ladesäule und im selben Regenschauer wie ein FIAT 500e oder ein Opel Corsa-e. Der größte Vorteil des Mercedes EQS 580 4MATIC SUV ist dabei, dass er dank seiner 118 kWh nutzbaren Akku-Kapazität auch bei langen Reisen erheblich seltener an die Ladesäule muss als elektrische Kleinwagen. Destination Charging heißt das Zauberwort, also entspannt im Whirlpool Champagner schlürfen, während der Wagen am AC-Lader des Wellness-Hotels nuckelt. Und wenn unterwegs doch mal ein Ladestopp erforderlich ist, macht man es sich im Innenraum einfach gemütlich. Mit guter Musik, gewärmten Sitzen und einer frischen Brise aus dem Duftspender vergisst man schnell, dass man nicht im heimischen Wohnzimmer lümmelt.

Mit einer Spitzenladeleistung von 200 kW am Schnelllader liegt der große E-Benz allerdings nicht auf Top-Niveau a la Porsche Taycan oder Audi e-tron (beide 270 kW). Ganz im Gegenteil: Sogar der Hyundai IONIQ 5, ein ausgewiesenes Familienauto zum fairen Preis, kommt auf 240 kW in der Spitze. Ganz zu schweigen vom aktuellen Ladeweltmeister, dem Rimac Nevera, mit bis zu 500 kW. Entscheidender als die maximale Ladeleistung ist aber, wie lange das Auto einen hohen Ladestrom aufrechterhalten kann. Und hier punktet der Mercedes EQS SUV ordentlich. In einem Bereich von fast leer bis weit über 60 Prozent liegt die Ladeleistung durchgehend bei über 180 kW. Mercedes verspricht 31 Minuten für 10–80 %, das ist realistisch. Für langsames Laden ist ein 11-kW-Lader serienmäßig an Bord. Bei dem großen Akku ist der optionale 22 kW Lader allerdings sicher eine Überlegung wert. Denn bei 11 kW kann es selbst über Nacht knapp werden mit einer vollen Ladehub.

Angesichts der 118 kWh-Batterie raten wir zum optionalen 22-kW-AC-Lader.

Was bei so manch anderem E-Autohersteller noch nicht so richtig klappt, ist eine sinnvoll in die Route integrierte Ladeplanung. BYD hat hier beispielsweise noch deutlichen Nachholbedarf, wie der zuletzt getestete BYD Seal bewiesen hat. Tesla hingegen ist nach wie vor die Benchmark, natürlich auch aufgrund des eigenen Ladenetzes. Aber was Mercedes mit dem EQS SUV in dieser Disziplin abliefert, ist ebenfalls ganz großes Kino und bietet eine vorbildliche Ladeplanung mit adaptiver Anpassung der Ladestopps während der Fahrt. Dazu gibt es alle wichtigen Infos zu den Ladesäulen wie Leistung, freie Ports und Dauer des Ladevorgangs. Und: Es lässt sich ein Rest-Akkustand vorgeben, mit dem man den Zielort erreichen will, was vor allem in schlecht mit Ladesäulen versorgten Regionen sehr hilfreich sein kann.

Mercedes gibt eine WLTP-Reichweite von maximal 757 km an, was einem Verbrauch von rund 15,6 kWh/100 km entspricht. Wie bei jedem E-Auto ist dieser Wert eher theoretischer Natur und nur bei sommerlichen Temperaturen auf Schleichfahrt zu erreichen. Wir haben auf unserem Trip nach Südtirol gut 25 kWh/100 km verbraucht, zurück knapp 20 kWh/100 km. Im Schnitt also um die 22 kWh/100 km. Alles Werte, die angesichts der Größe und Leistung des Luxus-SUVs absolut in Ordnung gehen. Sicher auch ein Verdienst des mit 0,26 recht guten cW-Wertes. Dass es aber durchaus noch deutlich besser geht, zeigt Tesla mit dem in die Jahre gekommenen Model X, das bei 0,24 liegt. Die realistische Reichweite wird sich im Sommer bei rund 500 km einpendeln, im Winter werden es wohl eher 400 sein. Als Reisefahrzeug oder Geschäftswagen taugt der Mercedes EQS SUV damit allemal.

Für wen ist der Mercedes EQS SUV das passende E-Auto?

Diese Frage ist im Prinzip ganz einfach zu beantworten: Der Mercedes EQS SUV passt zu allen, die ihn sich leisten können. Etwas differenzierter betrachtet, kann das luxuriöse und komfortable Premium-E-Auto aber vielleicht doch nicht alle Anforderungen der entsprechend anspruchsvollen Zielgruppe erfüllen. Das Design zum Beispiel ist gefällig und modern. Dennoch catcht uns das Kantige einer G-Klasse deutlich besser. Es fehlt ein echter Wow-Effekt, der Haben-Wollen-Reflex. Wer 170k für ein Auto ausgeben kann, der will vielleicht auch das Gefühl haben, sich von der Masse anzuheben, aufzufallen. Der Mercedes EQS SUV steht eher für luxuriöses Reisen mit Understatement. Oder das Infotainment: Unbestritten setzt der Luxusliner hier Maßstäbe. Die 20 Bedenk-Sekunden beim Hochfahren der Systeme sind aber völlig inakzeptabel bei dem Preis. Und mit seinen Abmessungen, dem hohen Gewicht und den bärenstarken Motoren taugt der EQS SUV ganz sicher nicht als Welt- und Klimaretter – Elektroantrieb hin oder her. Das kann kein E-Auto, da braucht es schon völlig neu gedachte Mobilität und einen klaren Mind-Shift in unser aller Köpfe. Der EQS SUV ist so viel Auto, so viel Luxus und so viel Komfort, dass er als Alltagsauto, als Familienfahrzeug, als Dienstwagen, als Fun-Mobil und als Abenteurer taugt. Er hat genug Platz, genug Leistung, genug Reichweite – einfach genug von allem. Und er schafft den Spagat zwischen exklusiver Handtasche und Everybody’s Darling. Am Ende wird der EQS SUV wohl in der noblen Vorstadt oder auf den überdachten Parkplätzen der Vorstandsetage sein Zuhause finden. Oder um sich in der hektischen und smog-verseuchten Metropole einen Ort der Ruhe und der Stille zu bewahren – mit frisch gefilterter Atemluft und konzert-tauglicher Hifi-Anlage.

Fazit zum Mercedes-Benz EQS SUV: Ein Stück vom Autohimmel

Nichts geringeres als Perfektion ist der Anspruch des EQS SUV. Dem wird das rund 170.000 € teure Luxus-SUV zwar in weiten Teilen gerecht. Fauxpas wie der hakelige Becherhalter im Fond oder die zu geringe Rechenleistung des Infotainment-Systems stören aber im absoluten Premiumsegment noch mehr als bei „normalen“ Autos. Dennoch überzeugt der Luxus-Liner mit einzigartigem Komfort im Stand und auf der Straße und ist eines der wenigen Autos, wo man nach der Fahrt einfach noch ein wenig sitzen bleiben und die Ruhe, den Komfort und seine Lieblingsmusik genießen will, bevor man sich wieder ins Alltagsgetümmel stürzt.

Tops

  • Verarbeitung und Materialgüte auf höchstem Niveau
  • Einzigartiger Sitz- und Fahrkomfort
  • Riesiges Raumgefühl
  • Technologie-Flaggschiff
  • Hohe Innenraumindividualisiebarkeit
  • Dank Hinterradlenkung überraschend wendig

Flops

  • Touch-Bedienung teilweise nervig
  • Ladeleistung nicht auf Top-Niveau
  • Überflüssige Patzer wie hakeliger Becherhalter im Fond
  • Technik-Overkill mit gähnend langsamem Systemstart

Mehr Infos unter mercedes-benz.de.

Words: Patrick Gruber Photos: Peter Walker