Spätestens seit der Euro 2024 sollte BYD nahezu jedem ein Begriff sein. Der chinesische Autokonzern stürmt fast unaufhaltsam an die Spitze der weltgrößten Elektroauto-Hersteller. Ein Garant dafür soll der BYD SEAL sein. Wir haben auf der Klaviatur der sportlichen E-Limousine gespielt und sagen euch, ob BYD nur beim Marketing große Töne spuckt.
Vorhang auf für den Star der Euro 2024. Nein, gemeint ist nicht die spanische Nationalmannschaft. Oder etwa unser neuer Liebling, der ehemalige Querpass-Toni. Es geht um einen, der mindestens genauso oft im Bild war – den BYD SEAL. Ja, richtig gehört: ein Elektroauto. Aber nicht irgendeines. Die sportliche Limousine soll der größten chinesischen Automarke den Weg auf den Thron der E-Autohersteller ebnen. Da saß BYD sogar schon mal: Mit 526.409 verkauften Exemplaren im vierten Quartal 2023 konnte BYD erstmals am langjährigen Platzhirsch Tesla vorbeiziehen, der sich aber seitdem wieder selbst die Krone aufgesetzt hat. Ein enges Rennen ist es aber nach wie vor – gleichzeitig eines zwischen den beiden Volumen-Modellen Tesla Model 3 und BYD SEAL, die auch preislich in einer Liga spielen. Doch bei diesem Konzert der E-Auto-Größen will auch ein Außenseiter ein kleines Solo ergattern: der Polestar 2. Setzt der Halbschwede vielleicht sogar den finalen Paukenschlag? Wir haben den BYD getestet und nach Ähnlichkeiten sowie Unterschieden zu den beiden gegnerischen Main-Acts Ausschau gehalten.
Build Your Dreams – so lautet der Slogan von BYD und weckt damit natürlich Begehrlichkeiten. Auch bei uns. Und schon der erste Auftritt des BYD SEAL schreit förmlich „Premium”. Ungeachtet der auffälligen Euro-2024-Decals auf unserem Testfahrzeug legt die Limousine einen sportlichen, selbstbewussten Auftritt hin. Aber dazu später mehr. Auch im Verborgenen weiß BYD sich mit seiner aktuellen E-Auto-Palette vom Mitbewerb abzugrenzen. Das liegt in erster Linie an der inhouse entwickelten und produzierten Traktionsbatterie. Die BLADE-Batterie ist nicht nur ein tragendes Teil der Fahrzeugplattform, sie unterscheidet sich in ihrer Bauweise auch von allen anderen derzeit im Markt befindlichen E-Auto-Batterien. Durch den Einsatz besonders flacher, aber sehr langer Zellen – daher der Name BLADE, also Klinge – schafft es BYD, einen sehr hohen Anteil an Akkuzellen an der Gesamt-Batterie zu erreichen. Denn die eingesetzte Lithium-Eisen-Phosphat-Zellchemie (LFP) zeichnet sich nicht durch eine hohe Energiedichte im Vergleich zu der bei Tesla und Polestar zum Einsatz kommenden Li-Ion-Technik aus. Da die BLADE-Batterie aber laut BYD zu über 80 % aus Akku-Zellen besteht, sind trotz der geringeren Energiedichte hohe Kapazitäten bei vergleichbarem Volumen und Gewicht der Batterie möglich. Typische Li-Ion-Akkus bestehen nur zu gut 60 % aus Akku-Zellen. Der Rest sind unter anderem Gehäuse, Verdrahtung, Kühl- und Heiztechnik. So liefert BYD mit einer Netto-Kapazität von 82,5 kWh deutlich mehr „Tankinhalt“ als das Tesla Model 3 (75 kWh) und der Polestar 2 (69 kWh).
Der BYD SEAL betritt die Bühne – Preise und Ausstattung
Nach dem Dirigent betritt für gewöhnlich die erste Geige die große Bühne. Und die spielt bei BYD derzeit der SEAL. Für einen Grundpreis von 44.990 € stellt der chinesische Hersteller eine sportliche E-Limousine auf die Räder, die schon im Stand hohe Erwartungen weckt – deutlich höhere, als der moderate Preis vermuten lässt. Bei unseren Testfahrten im Stuttgarter Raum sind wir immer wieder auf den Wagen angesprochen worden. Auch von anderen E-Autofahrern, etwa beim Laden, die den SEAL „jetzt endlich mal live sehen“ konnten. Die Werbetrommel rund um die UEFA Euro 2024 hat wohl schon Wirkung gezeigt.
Im „Einstiegsmodell” für knapp 45.000 € ist schon alles drin, was es auch in unserem Testfahrzeug an Ausstattung gibt. Die „Design“-Linie unterscheidet sich von der getesteten „Excellence-AWD“-Ausführung nur in puncto Motor und Antrieb. So gibt es bei Design nur einen Single-Motor, gepaart mit Hinterradantrieb und 230 kW (313 PS), die für einen Sprint von 0–100 km/h in 5,9 s gut sein sollen. Das Top-Modell kommt hingegen mit Dual-Motor-Konzept, Allradantrieb und satten 390 kW, also sehr sportlichen 530 PS nach alter Verbrenner-Nomenklatur. Abgeregelt sind beide Varianten schon bei 180 km/h, was hinsichtlich der Reichweite sicher sinnvoll ist, den ein oder anderen sportlichen Fahrer dennoch abschrecken dürfte. Die Zeit für den prestige-trächtigen Sprint steht dabei nicht nur im Datenblatt, sondern prangt selbstsicher am Heck des BYD SEAL: 3,8 s. Tesla gibt für das Model 3 LR 4,4 s an, die Performance-Version soll es in 3,1 s schaffen. Preislich liegt unser Testwagen des BYD SEAL ziemlich genau in der Mitte der beiden Model-3-Varianten. Die Konfiguration des Wunschautos ist schnell erledigt. Neben dem Motor und Antrieb kann man zwischen sechs Außen- und zwei Innenfarben wählen. Aufpreispflichtige Optionen gibt es genau zwei: die Farben Indigo Grey und Shadow Green kosten jeweils 1.000 € extra. Zudem lässt sich eine OEM-Anhängerkupplung nachrüsten, die mit dem Single-Motor bis 750 kg ziehen darf. Beim AWD-Modell sind es 1.500 kg.
Accelerando im zweiten Satz: Der BYD SEAL innen und außen
Eine gute Sinfonie kommt mit dem zweiten Satz erst so richtig in Schwung. „Accelerando“ nennt der Musikliebhaber das. Auch der BYD SEAL nimmt nach dem ersten guten Eindruck noch einmal ordentlich Fahrt auf. Die sportlichen 19-Zoll-Felgen im Turbinen-Design und die kühle Farbe Ice Blue unterstreichen den dynamischen Auftritt der E-Limousine, die auch bei genauerer Betrachtung keine Verarbeitungsmängel offenbart. Ganz im Gegenteil. BYD hat beim Design ganze Arbeit geleistet. Dank eines angedeuteten Diffusors und aerodynamischen Plastik-Covern sowie der coupé-haften Dachlinie mutet der 4,80 m lange Viertürer mehr wie ein Sportwagen als eine Familienkutsche an. Auch die schmalen Scheinwerfer und die tief gezogene Haube tragen zum sportlichen Auftritt bei. Seitliche Sicken und die „Fins“ vor den hinteren Radhäusern lassen Design-Fans ebenso verzückt lächeln wie die versenkbaren Türgriffe, die kurzen Überhänge und das durchgehende Leuchtenband am Heck. Und nicht zu vergessen: Der Verzicht auf unnötiges Spoilerwerk sorgt zusätzlich für dezente Eleganz. Eine Krawallbude ist der SEAL trotz seiner 530 E-Pferdchen auf keinen Fall. Da will man doch direkt einsteigen und der E-Sinfonie im Innern lauschen.
Und das klappt im ersten Moment auch sehr gut. Das in einem sehr hellen Blau gehaltene Ledergestühl ist bequem und bietet sogar eine Sitzbelüftung, die wir im Hochsommer sehr zu schätzen wussten und die auch beim Energiesparen hilft, da man fast unbewusst die Innenraumtemperatur etwas nach oben korrigiert. Top für empfindliche Naturen, die sich im Sommer gerne mal eine Erkältung einfangen! Dass die Interieurfarbe Tahiti Blue dabei leicht schmutzig wirkt und nicht perfekt mit dem dunklen Dachhimmel harmoniert – geschenkt und sicher Geschmackssache. Das luftige Raumgefühl über den Köpfen und das riesige Panoramadach, das vor allem den Fond-Passagieren zugute kommt, sind hingegen handfeste und spürbare Vorteile. Ebenso wie die hochwertige Materialauswahl und die einwandfreie Verarbeitung. Da ist es wieder, das Schlagwort: Premium. Dieses Gefühl versprüht der BYD SEAL fast im ganzen Innenraum. Nur im kaum sichtbaren Bereich kommt einfacher Kunststoff zum Einsatz. So what? Auch ein hochklassiges Sinfonie-Orchester trifft nicht immer jeden Ton perfekt. Und wer sich seinen eigenen Schaumwein zum Konzert mitbringen will, findet im BYD SEAL reichlich Ablageflächen, vor allem in der breiten Mittelkonsole, wo auch zwei Smartphones kabellos laden können. Die Mittelkonsole dämpft unsere Euphorie über das hohe Platzangebot allerdings. So stieß mancher Testfahrer mit dem rechten Knie an der Verkleidung des Mitteltunnels an. Vorne fühlt man sich insgesamt beengter, als es von außen den Anschein macht. Hinten hingegen herrscht Bewegungsfreiheit pur – auch weil der Hersteller die Mittelkonsole nicht bis hinten durchgezogen hat. Aber bei aller Freude über den Platz, ganz zufrieden sind wir mit den hinteren Sitzen nicht. Im unteren Bereich der Rückenlehne sitzt eine etwa 10 Zentimeter breite Wulst, die beim Sitzen teilweise unangenehm drückt. Die Vordersitze zeigen dieses Phänomen nicht und sind deutlich bequemer, auch wenn es ihnen ein wenig an Seitenhalt fehlt. Die integrierten Kopfstützen sehen super aus, lassen sich aber nicht verstellen. Ja, irgendwas ist immer.
Schnittiges Design ist das eine, gute Rundumsicht meist was ganz anderes. Auch im BYD SEAL ist die tiefgezogene Front beim Fahren kaum zu sehen, das schmale Heckfenster macht es hinten raus nicht besser. Fürs Einparken hat der Hersteller zwei kleine Sichtöffnungen in die C-Säulen integriert. Das können wir BYD aber bestenfalls als „gut gemeint“ durchgehen lassen. Der Nutzen: Null! Am Ende ist man auf die verbauten Kameras angewiesen, die ihre Sache vorbildlich lösen. Mit der Heck- und Seitenkamera parkt man millimetergenau am Straßenrand ein. Die gut animierte 360°-Kamera hilft, wenn es vorne eng wird.
Eng dürfte es gelegentlich auch im Kofferraum werden. Zwar klingen 400 l Fassungsvolumen auf dem Papier ganz passabel, die flache Luke und die nicht ganz ebene Fläche bei umgelegten Sitzen erschweren aber das Beladen unnötig. Das macht das Model 3 von Tesla aber auch nicht besser. Immerhin sind die Sitze trotz der klassischen Bauform umklappbar. Obendrein nehmen es die zusätzliche Kofferraummulde und der Frunk unter der Fronthaube locker mit Lade-Equipment, dreckigen Schuhen und sonstigen Kleinigkeiten auf. Spitze! Die separate Klappe für den Frunk wirkt allerdings nur auf den ersten Blick praktisch. Einmal vergessen zu schließen – und die Motorhaube wird zum gnadenlosen Killer.
Assistenzsysteme im BYD SEAL: Tonartänderung in Moll
Bis auf kleine Dissonanzen spielt der BYD SEAL bis hierhin die Partitur einer großen Sinfonie. Doch der dritte Satz entscheidet nicht nur in der klassischen Musik oft über Wohl und Weh. Dabei bringt die sportliche E-Limousine alles mit, was Bedienung und Entertainment auch auf Reisen zu einem echten Hochgenuss werden lässt: ein 10,25 Zoll großes Display hinter dem Lenkrad, einen riesigen 15,6-Zoll-Touchscreen in der Mitte und – quasi als kleines Geigensolo – ein Head-Up-Display. Für die klangliche Untermalung sorgt ein Sound-System samt eines im Kofferraum verbauten Subwoofers von Dynaudio. Also, Vorhang auf für den dritten Satz!
Doch schon nach wenigen Augenblicken stellt sich die erste Ernüchterung ein. So mancher Knopf ist nicht da, wo wir ihn erwarten. Zudem gibt es echt viele davon. Der Knopf für das Drehen des Haupt-Displays (ja, es ist elektrisch drehbar!) vom Quer- ins Hochformat sitzt beispielsweise im Lenkrad, wohingegen die Fahrmodi über ein Einstellrad in der Mittelkonsole ausgewählt werden. Sehr verwirrend, als säßen die Holzinstrumente im Orchester auf einmal nicht mehr neben den Blechbläsern. Hinzu kommen eine sehr große Menütiefe und teils holprige Übersetzungen. Hier würden wir aktuell sogar eher Englisch als Deutsch wählen. Daran, dass man manche Einstellungen lange suchen muss, ändert das aber nichts. Abhilfe könnten hier Apple CarPlay und Android Auto schaffen. Beides unterstützt der BYD SEAL. Jedoch klappt Apple CarPlay nur mit Kabel. Auch die Splitscreen-Funktion, die angesichts des riesigen Bildschirms total Sinn macht, ist in ihrer Nutzbarkeit schon beinahe grotesk beschnitten: Es geht nur mit Spotify und der Navigation. Alles andere wird nur im Fullscreen-Modus angezeigt. Wer also Mahlers 5. nicht bei Spotify hören will, schaut beim Thema Splitscreen mit dem Ofenrohr ins Gebirge.
Unterm Strich dauert es recht lange, bis man sich an die Bedienung des BYD SEAL gewöhnt hat und sich blind zurechtfindet. Wer nicht lange suchen will, dem sei die gut funktionierende Sprachsteuerung ans Herz gelegt: Navi, Klima, Sitzheizung und -belüftung – klappt alles aufs Wort.
Regelmäßig ins Wort fällt einem hingegen der extrem nervige Geschwindigkeitswarner, der ganze 4 lange Töne, ähnlich einer Quart, abgibt. Auf Wunsch kann man sich das auch noch per Sprachausgabe stimmlich untermalen lassen. Das ist aber nur was für ganz abgehärtete Naturen. Also deaktivieren – leider nicht so einfach. Die Warnung lässt sich nur abschalten, indem man gleich die gesamte Schildererkennung deaktiviert. Das ist mal konsequent – zumal der Tempomat etwaige Tempolimits sowieso nicht berücksichtigt und die Schildererkennung nicht sehr zuverlässig ist. Während unseres 10-tägigen Tests brachte BYD ein Software-Update für den SEAL heraus. Nach dem Einspielen gab das System plötzlich gar keine Warnungen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen mehr ab. Wir gehen nicht davon aus, dass das so bleiben wird und hier ein weiteres Minor Update folgen wird. Vielleicht kommen dann auch sinnvollere neue Apps hinzu als Karaoke, das in diesem Update enthalten war.
Insgesamt arbeitet der adaptive Abstandstempomat dennoch sehr zuverlässig. Er bremst und beschleunigt sanft, aber zügig genug, um am Vordermann dran zu bleiben. Der Spurhalteassistent macht seine Sache auch weitgehend gut. Uns fuhr er tenediziell etwas zu weit rechts, und in engen Baustellen zuckte das Lenkrad bisweilen nervös hin und her. Dennoch brachte er uns sicher durch die Engstellen. Das ist mit einem Tesla Model 3 quasi undenkbar, zumal hier immer mal mit Phantombremsungen zu rechnen ist. Damit hat uns der BYD SEAL verschont. Beim Polestar waren wir von den Assistenzsystemen zum Testzeitpunkt regelrecht enttäuscht.
Die Navigation im BYD SEAL basiert auf Google – und das ist nicht als Kritik zu verstehen. Die Routenplanung erfolgt schnell, auch mit Vorschlägen für Alternativrouten, und Echtzeit-Verkehrsinfos mit realistischen Ankunftszeiten. BYD ergänzt die Google-Navigation um nützliche Informationen wie etwa Ampeln, zu erwartende Verkehrsstörungen und Baustellen. Eine Integration ins Lenkrad-Display ist aber bisher nicht möglich. Im Gegenzug glänzt das Head-Up-Display mit einer hervorragenden Ablesbarkeit.
Sehr gut gefallen hat uns auch das Sound-System von Dynaudio, das viele Einstellmöglichkeiten bietet und zusammen mit dem in der rechten Kofferraumseite eingelassenen Subwoofer für eine gelungene Klangkulisse sorgt. Sogar eine schmale Stereo-Bühne ist hörbar – die perfekte Basis nicht nur für klassische Musik.
Test und Fahreindruck mit dem BYD SEAL – Scherzo: kraftvoll, aber kontrolliert
Scherzo ist eine rasche, ausgelassene Satzform der Sinfonie. Die Beschreibung passt ziemlich gut zum Charakter des BYD SEAL. Die E-Limousine ist mit ihren 390 kW beeindruckend stark motorisiert, geht dennoch nicht brachial zu Werke. Die überlegene Kraftentfaltung spürt man trotzdem jederzeit, im Sport-Modus geht es dann auch mal etwas wilder zur Sache. Der Allradantrieb bringt die Power aber zumindest auf trockener Piste zuverlässig auf den Boden. Geregnet hat es während der Tests nicht.
Das Fahrwerk passt zum sportlichen Anspruch der stark motorisierten E-Limousine. Den Spagat zum sanften Gleiter schafft es allerdings nicht ganz. Vor allem Querfugen werden spürbar durchgereicht. So taugt der BYD SEAL mehr für die schnelle Autobahnfahrt denn für weniger gut ausgebaute Landstraßen. Dort macht ihm auch die Lenkung einen Strich durch die Rechnung: Im Sportmodus bietet sie zwar reichlich Rückmeldung, ist dafür aber schon fast zu direkt und nervös. In den anderen Modi arbeitet sie indes sehr leichtgängig und vermittelt wenig Gefühl für den Untergrund. Personen mit E-Auto-Erfahrung werden zudem die Möglichkeit des One-Pedal-Drivings (soll per Update nachgereicht werden) und eine stärkere Rekuperation vermissen. Echtes E-Auto-Feeling kam bei uns jedenfalls nicht auf. Im Gegenteil: Der SEAL fährt sich fast wie ein Verbrenner. Dem hat er aber seine extrem geringe Geräuschkulisse voraus. Selbst bei höheren Geschwindigkeiten sind kaum störende Wind- und Abrollgeräusche im Innenraum wahrnehmbar. Zusammen mit der recht hohen Wendigkeit im Stadtverkehr taugt der 4,80 m lange Wagen gut zum entspannten Cruisen, selbst im Stadtverkehr.
Grande Finale? – Laden und Reichweite des BYD SEAL
Die Datenblattangaben zu Batteriekapazität und Ladeleistung klingen auf den ersten Blick etwas widersprüchlich: satte 82,5 kWh nutzbare Akku-Größe, aber nur 150 kW beim Schnellladen. Bei genauerer Betrachtung ergibt beides Sinn und passt auch im Alltag gut zusammen. Die LFP-Zellchemie steht für hohe Zyklenfestigkeit (BYD spricht von 5.000 Ladezyklen oder 1,2 Mio. km Laufleistung) und ist recht unempfindlich gegenüber extremen Ladezuständen, also nahezu voll oder fast leer. Gerade für E-Auto-Neulinge eine echte Sorglos-Technik. Dazu passt die 8-jährige Herstellergarantie bis 150.000 km. Die Nachteile sind eine geringere maximale Ladeleistung und eine nur mäßige Energiedichte im Vergleich zu Li-Ion-Akkus. Diese Scharte wetzt BYD aber mit seiner BLADE-Technik gekonnt aus. Und beim Laden zählt die Ladekurve mehr als die – oft nur sehr kurz anliegende – maximale Power. Das Tesla Model 3 LR ist hier das perfekte Beispiel: Bei sehr niedrigem Ladestand (SoC: State of Charge) stehen hier teils über 200 kW Ladeleistung zu Buche. Doch schon bei weniger als 20 % SoC beginnt dieser Wert deutlich zu sinken. Und bei halbvollem Akku lädt das Model 3 kaum noch mit 100 kW, spätestens bei über 70 % SoC macht das Schnellladen dann keinen Sinn mehr. Ganz anders der BYD SEAL: Zwar liegt dessen Maximum bei vergleichsweise moderaten 150 kW. Die liegen aber über einen weiten SoC-Bereich bis über 50 % an. Auch danach sinkt die Ladegeschwindigkeit nur langsam. Selbst zwischen 80 und 90 % SoC konnten wir noch mit 80 kW laden. Das ist ein Top-Wert.
Eine Aussage über die mögliche Reisegeschwindigkeit lässt sich aber erst treffen, wenn man neben der Ladeleistung den realistischen Verbrauch ins Kalkül zieht. Bei unseren sehr gemischten Fahrten mit flotten Autobahnetappen, aber auch reichlich Stadtverkehr, sind wir bei sommerlichen Temperaturen auf einen Verbrauch von gut 17 kWh/100 km gekommen. Kein schlechter Wert, sind damit immerhin rund 450–500 km Reichweite drin. An den kolportierten WLTP-Wert von 520–600 km kommt der BYD SEAL – wie wohl jedes E-Auto – aber nicht ran. Erst recht nicht im Winter, wo vermutlich spätestens alle 350–400 km ein Ladestopp ansteht. Das schafft ein Tesla Model 3 mit seinem nur 75 kWh großen Akku auch. In puncto Effizienz ist Tesla nach wie vor kaum zu schlagen. Der Polestar 2 kann da nur staunen: Bei über 20 kWh/100 km Verbrauch und dem vergleichsweise kleinen Akku schreit der Chinaschwede schon nach gut 300 km nach einer Ladesäule.
Apropos Ladesäule: Der BYD SEAL zeigt zwar in der Navigation auf Wunsch und sinnvoll gefiltert Ladesäulen in der Umgebung, entlang der geplanten Route und am Zielort an. Sogar mit Informationen zu Ladeleistung und freien Ladepunkten. In eine Navigationsroute übernimmt das System die Ladestopps allerdings nicht. Das muss manuell erfolgen. Warum, fragen wir uns. Es fehlt quasi nur ein letzter kleiner Schritt. Das kann doch nicht so schwer sein, würde aber das E-Auto-Erlebnis mit dem BYD SEAL so viel entspannter machen. So schreckt man E-Auto-Einsteiger zuverlässig ab. Umso ärgerlicher, da die große Batterie zusammen mit der beeindruckenden Ladekurve auch auf Langstrecken keine Reichweitenangst aufkommen lässt.
Für wen ist der BYD SEAL das passende E-Auto?
Betrachtet man die Fahrzeuggröße und die mögliche Reichweite, bringt sich der BYD SEAL durchaus als preisgünstiges Familienauto in Stellung. Der schlecht nutzbare Kofferraum macht ihm da aber einen Strich durch die Rechnung. E-Auto-Neulinge und Vielfahrer werden eine vernünftige Ladeplanung vermissen. Am Ende ist es ein Auto für Individualisten, die Wert auf Design und Technik legen, für ihre Ladeplanung aber auch gerne zum Smartphone greifen oder ihre altbekannten Ladesäulen im Umkreis anfahren.
Fazit zum BYD SEAL: Konzert mit einigen Dissonanzen
Der BYD SEAL legt in Sachen Optik und Verarbeitung einen tollen Auftritt hin. Die Rolle des E-Auto-Stars muss er aber doch anderen überlassen. Die hohen Erwartungen, die BYD mit dem SEAL weckt, kann die E-Limousine in einigen Punkten nicht erfüllen. Vor allem die fehlende Ladeplanung, die verschachtelte Menüführung und der unpraktische Kofferraum sorgen für Dissonanzen. Preislich wildert er im Revier eines Tesla Model 3, das trotz seines Alters die gelungenere Komposition ist. Den Polestar 2 hält BYD aber locker auf Abstand. Am Ende fehlt dem BYD SEAL das letzte Quäntchen zu einem wirklich überzeugenden Elektroauto.
Tops
- Verarbeitung und Materialqualität
- modernes, sportliches Design
- großzügige Platzverhältnisse im Innenraum
- bequeme Sitze mit Belüftung
- moderne Batterietechnik mit guter Ladeleistung
Flops
- verschachtelte Menüs
- extrem nervige Warntöne
- keine Ladeplanung
- kein One-Pedal-Driving
- flacher, schlecht nutzbarer Kofferraum
Mehr Infos unter byd.com.
Words: Patrick Gruber Photos: Mike Hunger